Immanuel Kant (1724-1804) lehnt jegliche Ethik ab, die sich am menschlichen Glück ausrichtet. Weder fragt Kant, wie man ein Leben voller Glücks- und Lustmomente führen könne, noch fragt er überhaupt nach einem guten Leben. Denn ‚gut‘ könne weder das (tugendhafte) Leben noch eine Handlung oder deren Wirkung sein und schon gar nicht ein Glücksmoment: „Verstand, Witz, Urteilskraft […] oder Muth, Entschlossenheit  […] sind ohne Zweifel in mancher Absicht gut und wünschenswert; aber sie können auch äußerst böse und schädlich werden, wenn der Wille, der von diesen Naturgaben Gebrauch machen soll und dessen eigentümliche Beschaffenheit darum Charakter heißt, nicht gut ist. Mit den Glücksgaben ist es ebenso gewandt. Macht, Reichtum, Ehre, selbst Gesundheit […] machen […] öfters auch Übermut, wo nicht ein guter Wille da ist, der den Einfluss derselben aufs Gemüt und […] das ganze Prinzip zu handeln berichtige“ (I. Kant: Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, BA18).

Für Kant ist ‚gut‘ ausschließlich eine Eigenschaft menschlicher Absichten, menschlichen Wollens. „Es ist überall nichts in der Welt […] zu denken möglich, was ohne Einschränkung für gut könnte gehalten werden, als allein ein guter Wille.“ (ebd.). Wir können auch sagen: Gut zu sein ist eine Willens- bzw. Charaktereigenschaft.
Kant meint, dass der Charakter eines Menschen von seinem Willen abhängt. Und der Wille seinerseits hänge letztlich nicht etwa von der Erziehung, Sozialisation oder Stimmungen ab. Dabei weiß Kant durchaus, wie stark die Einflüsse sind, die z.B. das Elternhaus auf das Handeln von Menschen hat. Doch darum geht es ihm hier nicht. Wenn Kant davon spricht, dass ein Mensch etwas willentlich tut, dann meint er damit, dass dessen Handlungen den Gesetzen vernünftiger Einsicht folgen. Wie unterscheidet sich derart vernünftige Einsicht von anderen möglichen Bestimmungsgründen menschlichen Handelns, etwa von Gefühl und Stimmung, von Lust und Laune? Ein Handeln folgt dann vernünftiger Einsicht, wenn es sich nicht nach Äußerlichem, nicht nach anderen Menschen und nicht nach den Stimmungen richtet, die Menschen oder Ereignisse in uns auslösen. Vielmehr ist ein Handeln dann vernünftig, wennn es statt einer derartigen ‚Kausalität der Naturnotwendigkeit‘ immer und überall nach den Gesetzen richtet, die der Vernunft als solcher (a priori) zu eigen sind. Dann und nur dann ist der Wille frei und selbstbestimmt; dann und nur dann ist das Handeln, das von diesem Willen geleitet ist, frei und selbstbestimmt: Dann folgen Wille und Handlung dem Gesetz, der (inneren) ‚Kausalität der Freiheit‘ (und nicht der Kausalität der Notwendigkeit, der Natur).

Kant gibt dieser menschlichen Selbstbestimmung – also dem Willen, der sich von den apririschen Gesetzen der Vernunft bestimmen lässt – den Namen Autonomie. Autonomie ist das Vermögen, die eigene Tätigkeit vernünftig und unbeeinflusst von fremden Ursachen selbst zu bestimmen. Der Mensch soll selber die Ursache des eigenen Handelns sein. Dies meint nicht, dass er beliebig handeln soll. Denn so, wie die Naturabläufe Gesetzen folgen, müsse dies auch vom freien Willen gelten: Er müsse sich nach unfehlbaren, apriorischen Gesetzen (‚Prinzipien‘) richten können – nach den Gesetzen der ‚reinen‘ Vernunft. Kant meinte, ein derartiges unfehlbar-universelles Willens- und Handlungsgesetz aus den Denkgesetzen der Vernunft ableiten zu können. Jeder Mensch sollte prinzipiell, also immer und überall wissen können, wie zu handeln sei. Ausschließlich dieses Willens- und Handlungsgesetz, den Nordstern moralischer Orientierung, will Kant formulieren. Es müsse also wissenschaftlich genauso zwingend (notwendig und allgemein) sein, wie es ein (auf mathematischer Evidenz beruhendes) Naturgesetz.

Kants Ethik besteht darin, ein solches Gesetz zu formulieren. Es muss als Gesetz der Freiheit den Willen und das Handeln des Menschen so bestimmen und leiten können, wie es in der Natur die Naturgesetze, letztlich also mathematische Gesetze tun: Streng notwendig und allgemein. Und es wird dies nur dann tun können, wenn es sich aus den Regeln und Gesetzen der Vernunft an ihr selbst ergibt, also streng apriorisch ist. Kants Suche nach derartig „unwandelbaren Gesetzen“ (I. Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten BA97) freier Willensbestimmung führte ihn zum Kategorischen Imperativ: Kant formulierte ein unbedingt (kategorisch), also nicht nur ein bedingt (hypothetisch) gültiges Handlungsgesetz.

Hypothetische Imperative („Wenn du eine gute Note haben willst, musst du Hausübungen machen.“)

  • …werden im Hinblick auf festgelegte Zwecke und Ziele formuliert;
  • …verpflichten zu einer spezifischen Handlung (um das vorgegebene Ziel zu erreichen);
  • …betreffen nicht die Zwecke und Ziele;
  • …sind für die Belange moralischen Wollens und Handelns irrelevant.

Als Gesetz muss der handlungsleitende ‚Kategorische Imperativ des Willens‘, wie alle anderen Gesetze auch, in sich notwendig zu sein – so etwa, wie die Winkelsumme eines Kreises notwendig 360° ist. Und er musste gänzlich allgemeingültig, ausnahmslos und für alle fraglichen Handlungen gelten – so etwa, wie die Winkelsumme aller Kreise jeweils 360° beträgt.

Kant formuliert einen derartigen kategorischen Imperativ der freien Willensbestimmung. Indem dieser Imperativ immer und in jeder Hinsicht gültig – nämlich, wie gesagt, ein ‚Gesetz‘ – sein muss, kann er nur sehr allgemein formuliert werden: Er muss die allgemeine (ausnahmslose) ‚Form des Gesetzes‘ haben. Auch darin ist er den Naturgesetzen gleich, die ja auch allgemein-abstrakt formuliert werden und daher für viele Einzelfälle gültig sind, darin das Verhalten von Vorkommnissen in der Natur vorhersehbar und berechenbar machend.

Kants (kategorischer) Handlungsimperativ lautet: „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde“ (I. Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, BA52).

Der kategorische Imperativ…

  • …ist unabhängig von vorgegeben Zwecken und Zielen formuliert;
  • …verpflichtet zu einer spezifischen Willensbestimmung;
  • …gilt notwendig;
  • …gilt immer (ausnahmslos).

Kant behauptet: Sobald der eigene Wille (die eigene Maxime bzw. der subjektive Grundsatz) am Gesetz des kategorischen Imperativs ausgerichtet ist, ist er gut. Und dann sind die menschlichen Handlungen willens-, also gesetzesgemäß, die von diesem Willen kausal verursacht sind: Sie halten das Gesetz ein, den kategorischen Imperativ. Daher wird die Ethik Kants als Gesetzesethik, m. u. auch als Pflichtethik bezeichnet.

Kant schlug vor, in moralischen Entscheidungssituationen folgenden simplen Test zu machen: Man müsse sich fragen, ob das, was man tut, einem (inneren, ‚subjektiven‘) Gesetz folgt, das auch ein ‚allgemeines‘, also ‚immer und notwendig‘ gültiges (‚objektives‘) Gesetz sein könnte (vgl. I. Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, BA18f). Kant testete, mit unterschiedlichem Ergebnis, vier derartige konkrete Einzelgesetze bzw. Maximen, und zwar: Halte ein Versprechen nicht! Begehe, wenn es dir vorteilhaft erscheint, Selbsttötung! Sei bequem und leb in den Tag hinein! Helfe anderen Menschen nicht!Kants Test funktioniert wie folgt (vgl. I. Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, BA 51-57).

1. Mach dir das Prinzip bzw. die Regel deines tatsächlichen Handelns deutlich.
Beispiel: Du hast dir von einem Klassenkameraden Geld geliehen. Um es aber nicht zurückzahlen zu müssen, stellst du folgende Regel auf: „Wer sich Geld leiht, es aber nicht zurückzahlen kann, soll behaupten, dass er es schon zurückgezahlt hat.“

2. Stelle dir eine Welt vor, in der jede(r) nach diesem Prinzip handelt.
Beispiel: Jeder Mensch birgt sich ständig Geld und verspricht, es zurückzugeben, obwohl er weiß, es gar nicht zurückgeben zu können.

3. Vergewissere dich, ob es eine Welt geben kann, in der jede(r) nach diesem Prinzip handelt.
Beispiel: Wenn alle Menschen nach diesem Prinzip handeln, wird man einander kein Geld mehr leihen, denn jede(r) würde wissen, es nicht zurückzubekommen (und man würde einander nicht mehr bitten, Geld zu leihen). Eine Welt, in der es Versprechen gibt, wäre dann unmöglich. Damit wäre das strittige Handlungsprinzip nicht universalisierbar. Es hat den Prinzipientest nicht bestanden.

Wir sehen: Wenn der Test ergibt, dass eine Welt, in der das fragliche Prinzip gilt, unmöglich (weil in sich widersprüchlich) ist, ist das Prinzip zu verwerfen, da es nicht universell gültig bzw. nicht allgemeingültig wäre.

Der kategorische Imperativ ist so, wie wir ihn bis jetzt kennengelernt haben, ziemlich abstrakt und unanschaulich. Kant hat dies auch bemerkt, ihn daher nochmals umformuliert: „Handle so, dass du die Menschheit, sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden anderen, jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchest“ (I. Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, BA 66f).
Kant ging hierbei davon aus, dass der Mensch ein Vernunftwesen ist. Und da die Vernunft und ihre Gesetze das höchste seien, sei auch das Vernunftwesen ‚Mensch‘ das höchste Wesen, stehe der Mensch höher als alle Pflanzen und Tiere: Der Mensch ist ein ‚Zweck an sich selbst‘, ein ‚Selbstzweck‘. Als solcher aber habe der Mensch „ nicht bloß einen relativen Wert, d.i. einen Preis, sondern einen inneren Wert, d.i. Würde“ (I. Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, BA 77). Niemals also dürfe ein Mensch ausschließlich als Mittel zum Zweck gebraucht werden!

Kant meinte nicht, dass ein gut-williges, weil pflicht-orientiertes Handeln nicht glücklich machen darf. Das Glück dürfe aber kein Maßstab des guten Willens und der Sittlichkeit sein. Ein guter Wille mache nicht zwingenderweise glücklich. Wohl aber könne Glück eine Begleiterscheinung gut-willigen Handelns sein.

Der deutsche Soziologe Max Weber (1864-1920) wird die Kant‘sche Ethik als ‚Gesinnungsethik‘ von der teleologischen ‚Verantwortungsethik‘ abgrenzen. Weiterentwickelt wurde sie besonders in der Diskursethik von Karl-Otto Apel (*1922) und Jürgen Habermas (*1929), zudem in der Theorie der Gerechtigkeit von John Rawls (1921-2002), Michel J. Sandel (*1953) und Martha Nussbaum (*1947).