Platons Erbe. Die Idee(n)

Platons (428/27-348/47 v. Chr.) Philosophie ist ansprüchlich entworfen und wirkungsgeschichtlich rezipiert worden als theoretische und als praktische Philosophie. Platonische Philosophie will menschliches Denken und Handeln hinsichtlich all seiner möglichen Facetten verstehen. Die Philosophie Platons gibt Orientierung und Leitung dadurch, dass sie zu Verständnis und Wissen führt. In diesem Sinn ist sie eine erstphilosophische und darin zugleich eine fundamentalethische Philosophie. Sie agiert in der allumfassenden, in der nichts ausschließenden Horizontgabe des ‚menschlichen Menschen‘.

Aristoteles.
Hylemorphismus und Akt-Potenz-Lehre

Der aristotelischen Naturwissenschaft und Philosophie ist die heute übliche Trennung zwischen naturwissenschaftlicher und geistes-/kulturwissenschaftlicher Vernunft fremd. Bei Aristoteles (384-322 v. Chr.) ist jede Selbstbewegung und Selbstveränderung – und damit auch die geistige oder die charakterliche Entwicklung eines Menschen – Teil der Natur. Jede Bewegung, die selbstverursacht ist, ist der Physik gegenständlich.

Aristoteles weiß, dass Philosophie und Naturwissenschaft zwar (tiefen-)grammatikalische und begriffs-/urteilslogische Unterscheidungen voraussetzen. Deren Klärung sei unerlässlich, um das Reden beliebiger ‚Fragesteller‘ zu disziplinieren und zu ordnen. Jedoch bringen diese Unterscheidungen noch nicht das Selbstbewegte ins Wort, sie erreichen nicht die ‚Wahrheit der Sache‘. Hierfür bedürfe es eines zusätzlichen Rekurses auf das ‚Tatsächliche‘.

Universalisenstreit.
Von Gott reden im Bann der Sprache

Zwischen dem 12. und 14. Jahrhundert richtete sich der mittelalterliche Bildungsbetrieb an den Bischofs- bzw. Stadt- und an den Klosterschulen neu aus. Ihm wurde eine neue Selbstverpflichtung maßstäblich: In all seinen inhaltlichen, begrifflichen und logischen Belangen muss wissenschaftliches Tun (i) in expliziter methodischer Rechtfertigung ergehen und (ii) entlang der logica nova erfolgen. Jene, die diesen Wissenschaftsmaßstab akzeptierten, konnten einer Berufung auf die vormaligen Autoritäten, also auf religiöse und/oder biblische Erst- und Gründungsschriften, nicht mehr zustimmen. Ihnen war die Wissenschaftspraxis zur methodisch-schrittweisen (dialektischen) Entwicklung des Wahrheitswerts von Aussagen geworden. Zumindest aber waren sie angehalten, eine Aussage methodisch zu rechtfertigen, sobald ihr Wahrheitswert bezweifelt wurde. Aufgrund dieses allumfassenden Anspruchs und der Neuartigkeit der durch die logica nova ergehenden Regeln stellten sich der philosophisch-theologischen und jeder wissenschaftlichen Textproduktion neue Aufgaben. Vor allem galt es, auf die Frage nach der Bedeutungs- und Verifikationsinstanz sprachlicher Ausdrücke eine neue, nicht-platonische Antwort zu geben.

Diese Frage und ihre einander widersprechenden Antworten sind in ihrer Gesamtheit der heutigen Philosophie- und Wissenschaftsgeschichtsschreibung vertraut als Universalienstreit. Es war dies ein Streit, als dessen zwei Protagonisten aus dem Bereich der theologischen Wissenschaftstheorie einerseits Thomas von Aquin und andererseits Johannes Duns Scotus vorgestellt werden können. Und es war dies ein Streit, der zu einem neuartigen, zu einem individuell-autonomen Verständnis des Menschseins führte. Der Mensch hat Würde. Ein neues Selbstverständnis des Menschen, erwachsen aus einem neuen Verständnis der Geltungsmaßstäbe und Wahrheitskriterien des Sprechens und Denkens. Eine umfassende Neuausrichtung, die zugleich ein neues Verständnis sowohl menschlichen Handelns – eine neue Handlungstheorie – als auch menschlichen Sollens – eine neue Ethik – mit sich führte. Ein Neues, das mit dem Alten brach und sich abzugrenzen wusste vom Vergangenen. Fürwahr: Eine neue Zeit. Die Neuzeit.

Gott. Kein unbewegter Beweger, sondern das unendliche Vermögen

In der Geschichte der Theologie und Philosophie ist die von Thomas von Aquin (1225-1274) vorgelegte philosophisch-naturwissenschaftliche Rekonstruktion des christlich-biblischen Gottes- und Schöpfungsglaubens die entscheidende Referenz- und Wirkungsgröße. Dabei setzen auch jene, die die Existenz Gottes ablehnen oder für unwahrscheinlich halten, das Thomanische Verständnis des Sprechens von Gott voraus: Wenn wir ‚Gott‘ sagen, meinen wir vor allem und als erstes den als ‚unbewegter Beweger‘ verstandenen Gott des Thomas von Aquin.

Dieser Gott, an den geglaubt oder an den nicht gelaubt wird, ist aber nicht der einzige Gott, an den Christen glauben können. Und auch ist er nicht der einzige Gott, der philosophisch oder theologisch gedacht und geglaubt oder (atheistisch) ablehnet werden kann. Darauf wurde im Laufe der Philosophisch-, Theologie- und Kirchengeschichte immer wieder hingewiesen. Im Mittelalter besonders von den Protagonisten der sogen. Franziskanerschule. Einer von ihnen war Johannes Duns Scotus (ca. 1266-1308). Er legte ein Sprechen von Gott und dem Göttlichen vor, das sich – wie auch schon bei Thomas von Aquin – auf Aristoteles berief, jedoch beiden nachwies, an entscheidenden Stellen ihrer Bewegungsanalyse unbegründete Voraussetzungen zu machen. Scotus machte diese Voraussetzungen nicht und gelangte dahin, von Gott und Schöpfung überzeugungs- und wissenschaftsfähig zu sprechen.

Descartes. Präreflexives Cogito

Descartes (1596-1650) setzte auf eine umfassende Neuinszenierung der Philosophie. Er wollte die menschliche Selbst- und Weltvergewisserung gegen ihre mittelalterlichen nominalistisch-erkenntniskritischen Hinterfragungen sichern, ihr also ein Fundament und einen Grund geben. Descartes suchte diese ‚primis fundamentis‘. Denn nur, wenn ein solches Fundament würde indiziert werden können, wäre es auch möglich, Geltungsmaßstäbe des Wissens und Handelns, zudem jene methodischen Wege zu benennen, derer das Denken zum Zwecke seiner Wahrheits- und Geltungssicherung bedarf. Nur so würden einzelne Wissensgehalte und Handlungsoptionen in ein methodisch gesichertes Ganzes überführt und zur synthetisch-begrifflichen Einheit gebracht, letztlich also auch als Wissenschaft praktiziert werden können. Die Geltungsmaßstäbe aller Denk- und Handlungswege galt es zu sichern. Es galt, alle wissenschaftliche, alle naturwissenschaftliche und philosophische Praxis zu sichern.

Descartes sollte die gesuchten Fundamente auf eine Weise legen, die beim frühen Augustinus anzuknüpfen schien. Denn er ging den Weg nach innen. Augustinus war diesen Weg dereinst gegangen aufgrund der Herausforderung durch den antiken Skeptizismus und Manichäismus. Er war dabei zur Evidenz des ‚Si enim, fallor sum‘ (‚Wenn ich mich täusche, bin ich‘) gelangt, zu einer Evidenz, die im Rahmen der von ihm vorausgesetzten (neu-)platonischen Erkenntnismetaphysik zu einer hinreichenden Sicherheit in den Erkenntnis- und Werturteilen führte. Descartes wandte sich ebenfalls diesem Inneren des Menschen zu. Freilich aber tat er dies unter anderen, jetzt nämlich nominalistischen Vorzeichen. Insofern stand er den Evidenzen augustinischen Denkens sehr fern. Er wollte in jenem Inneren den Wahrheits-/Geltungsausweis gegen jeden überhaupt nur möglichen Zweifel finden, gegen jede denkbare Täuschung, auch und gerade gegen die erkenntniskritischen Angänge des Nominalismus. Der Mensch müsse sich seiner selbst gewiss sein können. In der Beschäftigung, letztlich: in der denkenden Beschäftigung mit sich selbst müsse das Erkennen/Urteilen auf seinen Grund, auf sein unerschütterlich-zweifelsfreies Fundament stoßen.

Hume. Empirismus

David Hume (1711-1776) konstatierte – ganz ähnlich, wie es Jahre später dann auch Kant tun sollte –  ein ‚Lärmen und Schreien‘, von dem das Tun der Philosophen und Wissenschaftler fast zwingend begleitet zu sein schien: Sie sehen sich offenkundig gezwungen, in unerbittlichem Wettkampf fortwährend Neues hervorzubringen. Darin setzten sie jedoch, so kritisierte Hume weiter, mehr auf Beredsamkeit als auf schlüssige Argumentationen. Oder auch: Wissenschaftler und Philosophen stehen jenseits der Vernunft.
Den Streit der Wissenschaften und Philosophien mit den Waffen der Vernunft zu entscheiden, war die erklärte Absicht jenes dreibändigen Buches Humes, das als sein Hauptwerk gilt und entscheidend ist für die herausragende Position, die Hume in der Geschichtsschreibung der Philosophie einnimmt: „A Treatise of Human Nature“/ „Ein Traktat über die menschliche Natur“, im Untertitel ausgewiesenen als „Attempt to Introduce the Experimental Method of Reasoning into Moral Subjects“ / „Versuch zur Einführung der Experimentalmethode der Beweisführung bei den die menschliche Natur betreffenden Themen“.

Deutscher Idealismus. Philosophie der Freiheit

Nur wenige Fragen ursprünglich fachphilosophischer Provenienz sind aktuell derart häufig öffentlicher Diskussion und Meinungsbekundung gegenständlich wie die Frage nach der Freiheit. Sie begegnet uns auch in wissenschaftlichen oder wissenschaftsnahen Exkursen, vor allem aber in bildungsbürgerlichen Diskussionen. Letztere bedienen sich gerne naturwissenschaftlich vermittelter Evidenzen. Die Freiheit ist strittig.
Diesem ersten Anschein entgegen kann jedoch eine sprachliche und systematische Klärung dahin führen, die Frage nach der Existenz von Freiheit („Gibt es Freiheit – wirklich?“; ähnlich: „Gibt es Gott – wirklich?“) als gegenstandslos abzulehnen, nämlich als Resultat missbräuchlichen Sprachgebrauchs – als Resultat einer „Verhexung unseres Verstandes durch die Mittel unserer Sprache“ (L. Wittgenstein, PhU §109). Und wir können von Kant lernen: Nichts ist so selbstverständlich wie die Freiheit (und wie Gott).