Zweckethiken (z. B. Tugendethik und Eudaimonismus) sagen uns, wie wir leben sollen (vgl. Platon, Gorgias, 492d5). Für sie ist das menschliche Leben eine Einheit: Das ganze Leben soll gut und glücklich sein! Hingegen hat die teleologisch-utilitaristische Ethik eher die Glücksmomente im Blick, die als geglückt gelten, weil sie glücklich mach(t)en.

Aristoteles hatte den moralischen Wert einer Handlung ermittelt, indem er moralische Maßstäbe und Kriterien benannt hatte: Glück, Tugenden, rechte Mitte. Dementgegen misst die zweite große teleologische Richtung der Ethik, der Utilitarismus, den moralischen Wert menschlichen Handelns an einem außermoralischen Maßstab: Handlungen sind moralisch gut, wenn sie die Lust vermehren und die Unlust verringern. Denn darin bestehe das Glück. Wichtigster Vertreter des klassischen Utilitarismus, nämlich des Handlungsutilitarismus, ist John Stuart Mill (1806-1873). Beeinflusst von Jeremy Bentham (1784-1832), dem Lehrer und Freund seines Vaters, behauptet er, dass durch die Orientierung an Lust und Schmerzfreiheit ein moralisch richtiges Leben realisiert werden kann.

Für Bentham hatte sich die moralische Richtigkeit von Handlungen aus dem individuellen Erleben von Lust bzw. Schmerzfreiheit ergeben. Hingegen galt für Mill und andere klassische Utilitaristen diejenige Handlung als moralisch geboten, deren Folgen am meisten zu Lust und Wohlergehen aller betroffenen Menschen beitragen Dies gilt seitdem als der Grundsatz des Handlungsutilitarismus: Das Credo (creed), das den Nutzen oder das Prinzip des größten Glücks als Fundament der Moral annimmt, besteht in der Überzeugung, dass Handlungen in dem Maße richtig sind, wie sie dazu tendieren, das Glück zu befördern, und falsch in dem Grade, wie sie dazu tendieren, das Gegenteil von Glück hervorzubringen. Unter ‚Glück‘ wird Lust und das Fehlen von Schmerz verstanden, unter ‚Unglück‘ Schmerz und die Verhinderung von Lust. […] Lust und Schmerzfreiheit [sind] die einzigen Dinge […], die als Zwecke wünschenswert sind, […] alle anderen wünschenswerten Dinge [… sind] entweder wünschenswert […] aufgrund des Vergnügens, das sie enthalten, oder aufgrund der Förderung der Lust und der Vermeidung des Schmerzes“ (J.St. Mill Utilitarismus, 2. Kapitel).

Mill ahnte aber, dass seine Morallehre auf Ablehnung stoßen würde. Denn vielen Menschen sei die Annahme, das „Leben habe kein höheres Ziel als Vergnügen – es gebe keinen besseren und edleren Gegenstand des Verlangens und Strebens – […] äußerst primitiv und tierisch, eine Lehre, die nur für Schweine gelten könne“ (ebd.). Mill wirft seinen Kritikern vor, ihn nicht richtig verstanden und seine Texte nicht aufmerksam gelesen zu haben. Denn „die Menschen haben Fähigkeiten, die weit höher stehen als tierische Triebe, und wenn sie sich dieser bewusst werden, erkennen sie nichts als ihr Glück an, was diese Fähigkeiten nicht mit einschließt. […] Wenige Menschen würden es sich gefallen lassen, in ein niedrigeres Tier verwandelt zu werden, auch wenn ihnen versprochen würde, dass sie den größtmöglichen Anteil der Vergnügen dieser Tiere erhalten würden“ (ebd.).

Dass sich der Mensch gegen seine Gleichsetzung mit einem Tier wehrt – die Evolutionstheorie von Charles Darwin (1809-1882) war ihm vertraut –, sieht Mill begründet in dem „Sinn für Würde, den alle Menschen in der einen oder anderen Form besitzen […]. Diese Würde ist ein so wesentlicher Bestandteil des Glücks bei den Menschen […], dass nichts, was ihr widerspricht, ein Gegenstand der Begierde für sie ein könnte – es sei denn, für einen Moment. […] Es ist besser, ein unzufriedener Mensch zu sein. als ein zufriedenes Schwein, besser ein unzufriedener Sokrates, als ein zufriedener Narr“ (ebd.).

In der Anwendung dieses handlungsutilitaristischen Glückskalküls wurde jedoch sehr bald eine Schwierigkeit offensichtlich, die dazu führte, es zu einem regelutilitaristischen Kalkül auszuweiten. Dieses können wir in einem Beispiel verdeutlichen:

Um in einer Energiekrise dennoch die allgemeine Stromversorgung aufrecht halten zu können, ist es den Bewohnern einer Stadt behördlich verboten, ihre Wohnung mit elektrischen Konvektoren (Bild) zu beheizen. Da die Ölheizung von Familie S. (Eltern, zwei Kinder) die Wohnung jedoch nur auf 15°C aufzuheizen vermag, überlegt sich der der Familienvater, zusätzlich einen elektr. Heizlüfter in Betrieb zu nehmen. Denn er weiß: Diese eine Handlung wird den städtischen Stromverbrauch nicht nennenswert erhöhen, also niemandem schaden, ihm und seiner Familie aber nützen.

Entgegen dieser handlungsutilitaristischen Abwägung stufen jedoch die meisten Menschen, denen man diese Beispielsgeschichte erzählt und dann nach ihrem moralischen Urteil befragt, das Einschalten des Heizlüfters als moralisch unzulänglich, als ‚nicht gut‘ bzw. ‚böse‘ ein. Sie bringen nämlich (bewusst oder unbewusst) allgemeine Prinzipien in Geltung, etwa das Prinzip der Fairness bzw. Verallgemeinerbarkeit. Und dann gilt: Da in dem Fall, dass alle Stadtbewohner so handeln würden, die Stromversorgung zusammenbrechen und das allgemeine Wohl Schaden nehmen würde, ist es unmoralisch, wenn der Familienvater den Heizlüfter anschaltet. Es gibt also regelutilitaristisch ausweisbare moralische Verpflichtungen, die immer gültig sind, unabhängig davon, ob eine einzelne Handlung dem allgemeinen Wohl schadet oder nicht. Der Grundsatz des (idealen) Regelutilitarismus lautet daher: Moralisch gut ist eine Handlung, deren Folgen am meisten zu Lust und Wohlergehen der betroffenen Menschen beitragen und den allgemeinen moralischen und rechtlichen Regeln nicht widersprechen.