Sich der Philosophie Platons vertraut zu machen, kann sich leichter als bei jedem anderen antiken Philosophen – abgesehen vielleicht von Aristoteles, dem Schüler Platons – eines äußerst großen Textbestandes bedienen. Dieser ist umfassend sowohl hinsichtlich der Schriften Platons selbst als auch hinsichtlich all jener Schriften, die in den 2500 Jahren danach zu Platons Philosophie verfasst worden sind: Fruchtbar geworden ist Platons Werk in Philosophie und Theologie, aber auch in den Politik-, Kultur- und Sprachwissenschaften. Und all dieses in ganz unterschiedlichen kulturgeschichtlichen Epochen, in ganz verschiedenen Kulturkreisen und in geographischen Regionen, die von ganz verschiedenen religiösen, sprachlichen und sozialen Traditionen geprägt waren und geprägt sind. Ungeachtet noch der Frage, ob tatsächlich alle uns als ‚Platonisch’ überlieferten Schriften tatsächlich von Platon verfasst worden sind (oder ob einige von ihnen gar nicht aus der Feder Platons stammen können), wurden überliefert sowohl (i) Dialoge, die Sokrates, der Lehrer Platons, geführt habe, als auch (ii) Berichte Platons über solche Dialoge, zudem (iii) drei Briefe Platons. Wobei die beiden erstgenannten, also die Dialog- und Berichtsschriften, von Platon literarisch stilisiert und in spezifischer Absicht verfasst worden sind, keineswegs also protokollarischer Ambition entstammen.

Historisch gesichert ist hingegen der geographische Ort dieser Dialoge, Athen. Und gesichert ist auch, dass sie geführt worden sind auf öffentlichen Plätzen oder in Privathäusern. Nur in zwei Dialogen, im „Nomoi“ und im „Epinomis“, nimmt Platon selbst (als ‚der Athener‘) an ihnen teil. Niedergeschrieben wurden alle Dialoge an der Akademie, an jener Philosophenschule also, die, nordwestlich von Athen gelegen, Platon nach dem Todesurteil gegen Sokrates auf einem Privatgelände gegründet hatte.

Eine genaue Datierung der Schriften Platons ist unmöglich. Aufgrund sprachstatistischer Untersuchungen besteht heute jedoch zumindest der (nahezu) unstrittige Konsens, dass sie einer dreigliedrigen Chronologie folgen. Demnach sind zu unterscheiden (i) die frühen Dialoge („Apologie“, „Charmides“, „Euthydemos“, „Euthyphron“, „Gorgias“, „Hippias minor“, „Ion“, „Kratylos“, „Kriton“, „Laches“, „Lysis“, „Menexenos“, „Menon“, „Phaidon“, „Protagoras“, „Symposion“), (ii) die mittleren Dialoge („Parmenides“, „Phaidros“, „Politeia“, „Theaitetos“) und (iii) die späten Dialoge („Kritias“, „Nomoi“, „Philebos“, „Politikos“, „Sophistes“, „Timaios“). Die naheliegende Frage jedoch, welche der jeweiligen Argumentationen von Sokrates selbst oder aber von Platon stammen (und dem Sokrates von ihm also nur in den Mund gelegt worden sind), muss hier unbeantwortet bleiben.

Grundsätzlich gilt: Platons Philosophie ist ansprüchlich entworfen und dann wirkungsgeschichtlich rezipiert worden als theoretische und als praktische Philosophie. Platonische Philosophie will (a) menschliches Denken und menschliches Handeln und (b) menschliches Denken und Handeln hinsichtlich aller seiner möglichen Facetten verstehen. Die Philosophie Platons gibt Orientierung und Leitung dadurch, dass sie zu Verständnis und Wissen führt. In diesem Sinn ist sie eine erstphilosophische und darin zugleich eine fundamentalethische Philosophie. Sie agiert in der allumfassenden, in der nichts ausschließenden Horizontgabe des ‚menschlichen Menschen‘. Angekündigt sind damit schon jetzt die drei prototypischen Ansprüche und Vollzugsgestalten Platonischer Philosophie: Sie ist (zu sich selbst) zurückkehrende, (sich selbst) erkennende und (sich selbst) bewahrheitende Philosophie.

Indem die Platonische Philosophie der Frage nach dem Ganzen nachging, wusste sie darum, die Quellen ihrer eigenen Generierung fortlaufend rechtfertigen zu müssen. Sie wusste sich ihren Geltungsquellen permanent und in jedem ihrer Schritte und Explikationen verantwortet. Sie wusste von der Pflicht, sich selbst stets und immer wieder aufs Neue auslegen und prüfen zu müssen, ihre Quellgründe stets rechtfertigungspflichtig zu halten. Philosophisches Denken in den Bahnen Platons ist rückbezügliches, ist stets zu sich selbst und ist in sich selbst zurückkehrendes Denken.

Vorsokratische Naturphilosophie hatte nach der Wirklichkeit als Wirklichkeit gefragt, nach dem Grund von Wirklichkeit. Platon tat dies auch, jedoch im Rahmen einer umfassenderen Fragestellung. Deren zweite Blickrichtung nämlich war die Frage nach der Wirklichkeitserkenntnis, also nach dem Grund des Erkennens. Platon fragte nach dem, was der Mensch als Erkennender ist, nach dem Menschen im Ganzen dessen Wesens. Er fragte nach der Wirklichkeit, die dem Menschen das nicht-menschliche Seiende ist; nach der Wirklichkeit, die dem Menschen das Handeln und nach der Wirklichkeit, die dem Menschen das Erkennen ist.

Platons Denken folgte dem Sich-geben der Wirklichkeit in all ihren Facetten. Es musste das Denken-des-Vielen im Einen-und-Ganzen sein und es musste das Denken des Einen-und-Ganzen sein, insofern sich dieses im Vielen zeigt. Die platonische Philosophie hat bis zum Anfang des zwölften Jahrhunderts das abendländische Denken in der ein oder anderen Weise ununterbrochen und nahezu fraglos dominiert. Platonisch-neuplatonisches Denken dominierte die Philosophie im Nachgehen der Frage nach den Möglichkeitsbedingungen vernünftigen Erkennens. Eines Erkennens dabei (des Ganzen und alles Seienden, wie es sich in der Blicknahme dieses Ganzen zeigt), dessen Realgeltung bei Platon aus einer vorausgesetzten ursprünglichen Identität des Erkennens mit dem Erkannten erwuchs und das daher (unter diesen Voraussetzungen) selbstverständlich wahr war. Wir werden vom Realismus, von der realistischen Bedeutungs-/Sprachtheorie zu sprechen haben, der die platonische Philosophie in jedem ihrer Schritte untersteht. Platonische Vernunft gibt sich der philosophischen Rekonstruktion als erkenntnismetaphysische und darin als realistische Vernunft zu erkennen.

Die Philosophie Platons agiert als eine dreifach dimensionierte Einheit. Jede dieser drei Dimensionen beantwortet (im Rahmen der Platonischen Gesamtkonzeption) eine spezifische philosophische Grundfrage, nämlich: Welches ist der Grund von Wirklichkeit, von Sprache und von abstraktem, also von mathematischem und ethischem Denken? Als Ganzes aber, als Einheit gefasst, gewähren diese drei platonischen Grundgebungen in kraft ihrer Apriorizität den innersten Zusammenhang des Begründeten, den Zusammenhang also von Sprache, Denken und Wirklichkeit. Es gewähren die drei Platonischen Grundgebungen eine Identität. Sie sind Denken im eigentlichen Sinn. Und natürlich gilt dann: Indem die platonische Philosophie derart allumfassend ist, ist sie – wie jede ‚sub specie aeternitatis‘ entworfene und insofern totale Theorie – eine tautologische Philosophie. Die Platonische Idee agiert als erkenntnismetaphysisches Philosophieren, mithin als Identität dessen, was später, in der neuzeitlichen Philosophie, in Erkenntnistheorie einerseits und Metaphysik andererseits getrennt werden sollte.

Zentraltheorem Platons ist die Idee (griech. ‚εἶδος‘ [‚eĩdos‘], lat. ‚idea‘). Auch wenn heute nahezu Konsens besteht darin, dass einerseits keine einheitlich-geschlossene Platonische Ideenlehre indiziert werden kann, noch andererseits die Platonischen Ausführungen zu den Ideen der einzige adäquate Zugang zum Werk Platons sind, gilt nichtsdestoweniger: Eine (wie auch immer beschaffene, eine vielleicht auch fragile) Ideenlehre ist zwar möglicherweise nicht der Gipfel der Platonischen Philosophie, gleichwohl aber können an Platons (durchaus ja auch widersprüchlichem) Sprechen von der Idee und den Ideen entscheidende Grundzüge seines Denkens kenntlich gemacht werden. Und es kann so in die dialektisch-synergistische Gesamt- bzw. Idealkonstruktion philosophischen Denkens überhaupt eingeführt werden.

1      Die Ideen

Nur wenige fachsprachliche Ausdrücke philosophischer Provenienz sind im bildungsbürgerlichen Reden derart missverständlicher, ja geradezu grotesker Verwendung ausgesetzt wie die Platonischen Idee. Von einem Ideenhimmel ist da die Rede, gleichsam von einer jenseitigen Parallelwelt, welche die Vorbilder bergen würde all dessen, was wir kennen und anfassen, aber eben nur als Abbilder kennen und anfassen können, ohne dass also ein Bezug bestünde zwischen beiden Welten, diese also tatsächlich Parallelwelten wären. Das offensichtlich Groteske derartigen Redens macht es – zumal wenn es in völliger Unkenntnis der Fragestellungen ergeht, auf die Platon zu antworten suchte – den in philosophischen Belangen Ungeübten und den Schüler:innen und Student:innen philosophischer oder philosophie-ansprüchlicher Einführungsveranstaltungen nahezu unmöglich, überhaupt den Sitz im Leben (bzw. den Sitz im Denken) der platonischen Idee auszumachen. Dieses umso mehr, als dass uns auch in philosophischen Einführungsbüchern und in so mach anderem Versuch, komplexe philosophische Sachverhalte zu elementarisieren und pädagogisch-didaktisch darzustellen, solch Groteskes und Unverständliches begegnet. Ein Umstand, ob dessen die Philosophie dann mitunter als Aphorismensammlung oder aber als Steinbruch wahrgenommen wird, als unverbundene Menge nicht nachprüfbarer und unwissenschaftlicher Sätze.

Um sich in Platons Ideenlehre einzuüben, muss ihr Sitz im Leben/Denken, die Frage also deutlich erkennbar werden, auf die zu antworten sie sich einst angeschickte. Anderenfalls würde sich das platonische Ideenkonstrukt – fürwahr keine ‚Philosophie des gesunden Menschenverstandes‘ – jedem Verstehen versperren. Anderenfalls wäre es einem von Beliebigkeit und Willkür geleiteten, einem der methodischen Rechtfertigung abholden, einem unwissenschaftlichen Denken übereignet: Die Philosophie wäre elementarisiert, trivialisiert, amputiert.

Die Platonische Lehre von der Idee: Schon diese Ankündigung verleitet zu einem Missverständnis. Dies zumindest in zweierlei Hinsicht. Zum einen nämlich droht die tatsächliche Variabilität des sprachlichen Befundes (‚Wie wird in den einzelnen Platonischen Dialogen die Textmarke ‚I-d-e-e‘ verwendet?‘) übergangen zu werden. Und zum anderen droht eine – in den Texten Platons tatsächlich überhaupt gar nicht vorliegende – theoretische Systematik (‚Es gibt eine zusammenhängende und werkübergreifende platonische Ideenlehre!‘) vorausgesetzt zu werden. Zunächst muss daher der sprachliche Befund erfasst, sodann das Missverständnis ausgeräumt werden, Platon hätte eine durchgehende Lehre von den Ideen entwickelt. Erst im Anschluss daran können einige Kerngehalte dessen gegenwärtigt werden, was bei Platon – und warum es bei Platon – als Idee agiert.

1.1     Vielzahl sprachlicher Ausdrücke

Für das, was in den deutschen Übersetzungen der Werke Platons und in der philosophischen und bildungsbürgerlichen Rezeption als Idee (lat. ‚idea‘) angeführt wird, finden sich in den griechischen Texten verschiede sprachliche Ausdrücke, und zwar zunächst ohne erkennbare Systematik oder Regelhaftigkeit. Der einheitliche Gebrauch des deutschen ‚Idee‘ sieht also von dezidierten griechisch-sprachigen Unterschieden ab. So spricht Platon zwar durchaus von der ἰδέα [‚idéa‘ (‚Idee‘)], aber er spricht auch von μορφή [‚morphḗ‘ (‚Gestalt‘)] oder εἶδος [‚eĩdos‘ (‚Form‘)]; er verwendet zudem γένος [‚génos‘ (‚Art- bzw. Gattungsbestimmung‘)], οὐσία [‚ousía‘ (‚Wesen‘)] oder φύσις [‚phýsis‘ (‚Natur‘, ‚Wesensbeschaffenheit‘)]. Als deren gemeinsame Bedeutung kann vielleicht von der (äußeren) Gestalt, vom Umriss oder von der (Wesens-)Form gesprochen werden. Diese sprachlichen Ausdrücke sagen von verschiedenen Seienden aus, über eine (i) gemeinsame (ii) sichtbare und daher (iii) identifizierbare Beschaffenheit zu verfügen. Ansehnlich und anschaubar also ist der εἶδος [‚eĩdos‘ (‚Form‘)], die ἰδέα [‚idéa‘ (‚Idee‘)].

Neben diesem ersten sprachgeschichtlichen Befund ist noch ein zweiter zu notieren: In den Texten Platons findet sich auch die philosophiegeschichtlich belegte und umfassend tradierte Terminologie, als idea, eidos, morphe phýsis etc. die Artbestimmung bzw. die Seinsweise (der Seienden) zu prädizieren oder auch die Wesensverwandtschaft verschiedener Seiender. Hier wurde und wird von idea, eidos, morphe, phýsis etc. fachsprachlich als von einerontologisch- metaphysischen Instanz gesprochen. Sie agieren dann als sprachliche Ausdrücke für ein urbildhaftes (nicht: vorbildhaftes) Prinzip, nämlich für das Prinzip bzw. (eigentliche) Sein der Einzeldinge. Beide Verwendungen – einerseits (äußere) Gestalt/Umriss, andererseits urbildhaftes Prinzip – finden sich in den Werken Platons. Um jeweils entscheiden zu können, welche dieser Verwendungsweisen im Text vorliegt, muss der betreffende Dialog- bzw. Gesprächszusammenhang angeschaut werden. Er ist zumeist hinreichend eindeutig.

Dem angeführten sprachlichen Befund entgegen wurden von Platon jedoch gewisse alltagssprachlichen Umschreibungen durchaus auch als fachphilosophische Termini eingesetzt, und zwar zumeist dann, wenn es galt, ontologisch-metaphysische Sachverhalte zu klären, also von den Ideen als grundlegend-urbildlichen Seins-Instanzen der Einzeldinge zu sprechen. So etwa finden sich im „Sympósion“ („Gastmahl“) alltagssprachliche Umschreibungen für die fachsprachliche Verwendung von Idee, z. B. ‚das seiner Natur nach wunderbar Schöne‘ (‚τὶ θαυμαστὸν τὴν φύσιν καλόν‘ [‚tì thaumastòn tḗn phýsin kalón‘]) oder das ‚immer Seiende‘ (‚ἀεὶ ὄν‘ [‚aeì ón‘]), das ‚weder entsteht noch vergeht‘ (‚οὔτε γιγνόμενον οὔτε ἀπολλύμενον‘ [oúte gignómenon oúte apollýmenon]). Oder, im „Phaidon“, Umschreibungen wie ‚wesenhafte Wirklichkeit selbst, die wir als das eigentliche Sein erklären‘ (‚αὐτὴ ἡ οὐσία ἧς λόγον δίδομεν τοῦ εἶναι‘ / ‚autḗ ē ousía ẽs lógon dídomen toũ eĩnai‘), oder ‚das Gleiche selbst‘ (‚αὐτὸ τὸ ἴσον‘ [‚autò tò íson‘]), ‚das Schöne selbst‘ (‚αὐτὸ τὸ καλόν‘ [‚autò tò kalόn‘]) ‚einem jeglichen, was ist, selbst‘ (‚αὐτὸ ἕκαστον ὃ ἔστιν‘ [‚autò èkaston ò éstin‘]), oder ‚Wesen selbst‘ (‚αὐτὸ τὸ εἶδος‘ [‚autò tò eĩdos‘]).

1.2     Keine systematische Ideenlehre

Entgegen der Erwartungen, die systematischer Philosophie gelten mögen, sprach Platon von den Ideen – und dies unabhängig davon, welchen (griechischen) Wortes er sich hierbei bediente –, als wären sie Selbstverständlichkeiten. Er sprach von ihnen, als wären sie ihm und seinen Gesprächspartnern bestens bekannt und daher unstrittig, als stünden sie außerhalb jeglicher Diskussion. Die Idee, das ist ‚nichts Neues‘, sondern ‚jenes Abgedroschene‘, von dem Sokrates nie zu reden aufgehört habe. Die Platonischen Dialoge stellen die Ideen außerhalb jeder Rechtfertigungspflicht. Obwohl sie von Sokrates als Prämissen systematischer Argumente genutzt werden, sich also einer methodisch-rationalen Überprüfung nicht hätten entziehen dürften. Indem er die Idee jedoch als Selbstverständliches und Altbekanntes anführt, stößt der Platonische Sokrates gleich zu Beginn der jeweiligen Dialoge auf Zustimmung zu dem, was heute landläufig (aber irrig) ‚platonische Zwei-Welten-Lehre‘ genannt wird, nämlich, dass wir zwei (irgendwie) voneinander getrennte Seins- und Erkenntnisbereiche auseinanderzuhalten hätten. Richtigerweise aber und i. S. Platons müsste man von zwei (nicht getrennten, sondern) zu unterscheidenden, aber aufeinander bezogenen Seinsbereichen sprechen: Einerseits der Bereich des Grundlegenden, also die Ideen, andererseits der Bereich dessen, was aus den Ideen abgeleitet ist; einerseits dasjenige, was an und für sich schön (oder groß oder klein etc.) ist, andererseits dasjenige, was nur durch Teilhabe an diesem schön (oder groß oder klein etc.) ist; einerseits das Eingestaltige und Unveränderliche, andererseits das Vielgestaltige und Veränderliche (das zunächst nur als das Gleichnamige bestimmt wird), welches an diesem Eingestaltigen teilhat; einerseits das Unsichtbare und dem Denken Zugängliche, andererseits das stets Werdende und daher dem Denken Entzogene.

Biografisch und zugleich geltungslogisch verankert ist die Lehre von den Ideen offenbar im Sokratischen Versuch, entgegen der Willkürlichkeiten und (sprach-)logisch-argumentativen Inkonsequenzen, die Sokrates den Vertretern der (vorsokratischen) Naturphilosophie anlastete, den Grund- und Einstiegsgedanken des Anaxagoras ernst zu nehmen, ausschließlich die Vernunft ‚das Anordnende‘ und die ‚Ursache‘ aller Dinge sein zu lassen. Die Ursache, der Grund aller Dinge müsse die Vernunft als solche sein. Anordnend und ursächlich müsse und könne jedoch die Vernunft sein nicht so, wie wir heute einzelnen Menschen attestieren, vernünftig zu sein. Sondern es müsse die Vernunft sein so, wie und insofern sie von den Begrenzungen und Bedingungen individuellen Erkennens und Seins losgelöst ist. Thematisch ist ihm also die Vernunft, insofern sie allgemein ist und allem eine allgemein-/allumfassende Ordnung einstiftet. Und zugleich müsse die Vernunft der Grund der Erkennbarkeit aller Dinge sein – durch die Vernunft erst dürften alle Dinge/Seienden erkannt werden können. Auch und gerade die Gegenstände der Sinnenwelt könnten und dürften, so Sokrates, nicht direkt, nicht in der Anschauung erkannt werden, sie müssten sich dem Sehen, Hören, Schmecken entziehen. Sie müssten durch die Vernunft, dürften ausschließlich sekundär erkannt werden. Denn anderenfalls – wenn der Mensch also ‚mit den Augen nach den Gegenständen sähe und mit jedem Sinne versuchte, sie zu treffen‘ – würde er, so das hierfür im Platonischen Höhlengleichnisses ergehende erzählerische Bild des Sokrates, an der Seele ‚geblendet‘ werden, sprich: Er würde sich täuschen können.

Die platonisch-sokratische Ideenlehre ist also in der sokratischen Evidenz verankert, dass die Vernunft der Grund sowohl der Dinge als auch der Erkennbarkeit der Dinge sein muss. Eben diesen Vernunftgrund heißt Idee. Ausschließlich die Vernunft könne zu den Gedanken Zuflucht nehmen und in den Gedanken das ‚wahre Wesen der Dinge anschauen‘. Auf diese Weise und nur auf diese Weise könne die Wahrheit der Dinge gesehen (‚θεωρεῖν‘ [‚theorein‘]) werden – auf nicht-sinnliche Weise gesehen werden, kraft der Gedanken, kraft der Vernunft. Ein Sehen/Betrachten durch die Gedanken, durch Vernunft, mit dem dann natürlich das Erkennen des Grundlegenden zu einem nicht-diskursiven Erkennen wird, zu einem prä-diskursiven bzw. sekundär-reflexiven Erkennen.

Dieses Erkennen agiert als (reine) Theorie, als rein-intellektuelles Sehen. Und das, was in diesem prä-diskursiven/prä-reflexiven Erkennen erkannt wird, nannte Platon Idee. Es ist ein sekundärreflexives, ein apriorisches Sprechen, wenn wir von der Idee sprechen. Seine Annahme, es gebe für alle qualitativen Bestimmungen, es gebe für ‚das Wie und sogar für das Warum der Dinge‘ eine eindeutig erkennbare Maßgabe ihres Seins, lässt Platon darüber hinaus von einer vollständigen und hierarchisch geordneten Ideengemeinschaft (‚κοινωνία Ιδεῶν‘ [‚koinonía ideõn‘]) reden, in der einige besondere Ideen grundlegend sind für die vielen anderen Ideen.

2      Eigenschaften der Ideen

Die Ideenlehre befasst sich also sekundärreflexiv mit einer paradigmatischen Welt, die das ‚Deklinationsmuster‘ für die Vielzahl der Einzeldinge der Werdewelt sei, also das exakte und alle inhaltlichen und formalen Bestimmungen umfassenden Weltvor- und Welturbild der Körperwelt. Den platonischen Ideen kommt darin eine dreifache Konstitutionsfunktion zu, Platon beantwortet die drei philosophischen Grundfragen: Wie kann grundgelegt werden die (a) Wirklichkeit als Wirklichkeit, die (b) Sprache als Sprache und (c) das abstrakte, das mathematische und ethische Denken.

2.1     Ideen als Grund von Wirklichkeit

Die Platonische Rede von der Idee antwortet auf die Frage nach dem, was die Dinge (die Seienden) sind, was an ihnen wirklich ist. Sie beantwortet die ontologische Frage. Ideen sind – entgegen der dann im mittelalterlichen Universalienstreit aufbrechenden und neuzeitlich etablierten Kluft zwischen Zeichen und Bezeichnetem – nicht bloß Begriffe, nicht bloß Worte. Sie sind keine Gedankendinge (noemata). Sondern Ideen werden sekundärreflexiv erkannt, nämlich tatsächlich erkannt, als Tatsache erkannt: Sie sind noeta. Sie sind Ursprungsgründe aller sichtbaren bzw. aller im Sichtbar-Veränderlichen vorkommenden Eigenschaften. Sie sind Urbilder, nicht bloße Vorbilder. Sie durchdringen dasjenige, dessen Urbild sie sind. In ihrem Ursprungs- bzw. Grundsein haben sie an demjenigen Teil, dessen Idee sie sind. Sie sind so an ihnen selbst unabhängig von den Denk- und Wahrnehmungsleistungen bzw. -bedingungen des erkennenden Subjekts. Eine Idee ist immer eine Idee „an und für sich“ („καλὸν αὐτὸ καθ᾽ αὐτὸ“ [„kalòn autò kath᾽ autò“]), sie ist ontologisch primär, sie ist vorrang-ursprünglich sowohl gegenüber den Eigenschaften der Werdewirklichkeit als auch gegenüber der menschlichen Erkenntnisleistung.

Die sinnlich zugänglichen Eigenschaften der Werdewirklichkeit sind lediglich Instanziierungen der Ideen so, dass das (sinnlich-wahrgenommene) Seiende in zweifacher Hinsicht durch seine Idee bzw. Ideenkonstellation bestimmt ist. Einerseits nämlich ontologisch, andererseits normativ. Denn das Seiende kann ontologisch gefasst, es kann als ein so-und-so beschaffenes Seiendes bestimmt (definiert) werden, insofern es seiner eigenen Idee als der ihm vorgegebenen Norm gleich ist, es an ihr teilhat, es also seine Ideenbestimmung erfüllt. Es ist nicht nur Abbild, es ist nicht nur Kopie. Jedes Seiende ist in jenem Maße – es ist in jenem Maße wirklich –, in dem es teilnimmt „an dem eigentümlichen Wesen eines jeglichen, woran es teilhat“ (Platon, Phaidon, 101c). Ganz so sei auch die ‚Teilnahme an der Zweiheit‘ die einzige Ursache des ‚Zwei-geworden-Seins‘ und die ‚eigentliche Bewegtheit‘ die Ursache jeder Bewegung.

Eben dieses, die eigene Ideen- bzw. Idealbestimmung zu erfüllen – also dasjenige zu sein, was es ist –, markiert die ontologische Würde jedes Seienden. Die Ideen sind maßgeblich vollkommen, sie sind die ontologische Referenzquelle einer in diesem ihren (ontologischen) Grundstatus perfekten Werdewirklichkeit. Hinter dieser Referenz zurückzubleiben bedingt all das Negative und Unzulängliche, das wir in der Werdewirklichkeit antreffen. Zugleich damit wird die Ideenlehre Platons zum Konstruktionsprinzip auch seiner Ethik. Denn in dem Maße, wie das sich bewegend-verändernde Seiende seinem normativen ontologischen Ideal nicht entspricht, ist der Wert seiner Bewegung/Veränderung vermindert. Hingegen ist er erhöht, wenn und insofern das Bewegte seinem ontologischen Ideal zu entsprechen vermag.

Dieser Zusammenhang wird vom Platonischen Sokrates vor allem an moralischen Eigenschaften expliziert, etwa an der Schönheit, an der Tapferkeit und Gerechtigkeit, wie sie nicht nur, wie sie aber auch und besonders von jenen Bewegungen ausgesagt werden, die sich als menschliches Handeln ereignen. Allesamt Zuschreibungen, die im Rahmen der platonischen Ideenlehre nicht einer Hypostatisierung sprachlicher Zeichen erwachsen – die also nicht aus einer Verselbstständigung und Verdinglichung von (Allgemein-)Begriffen bzw. Universalien resultieren, so als erhielten die sprachlichen Ausdrücke nachträglich eine eigenständige Wesenheit. Vielmehr gilt, wir bleiben bei den angesprochenen moralischen Zuschreibungen, dass jedes Mal, wenn von Handlungen, Charakteren, Gesetzen etc. gesagt wird, sie seien schön, tapfer oder gerecht etc., diese Zuschreibungen des Gleichen sachlich zutreffend und ontologisch gefordert sind, da und insofern sie in deren jeweiliger Teilhabe an der entsprechenden Idee gründen, in der Teilhabe an der Idee nämlich der Schönheit oder der Tapferkeit oder der Gerechtigkeit etc. Indem sich so der eine Name erstreckt auf viele Dinge, Handlungen, Charaktere, Gesetze etc., ist der Grund dieser Gemeinsamkeit nicht nur ein sprachlicher Ausdruck, sondern eine gemeinsame Sache, ein gemeinsames Wesen, eben die Idee. Daher auch kann Platon ihr und kann er nur ihr als eines Vorbegrifflichen attestieren, über Würde, Ewigkeit und Geltungsfülle zu verfügen und in unkörperlicher Anschaubarkeit an einem überhimmlischen Ort beheimatet zu sein.

Die Idee als das ‚Eine, das sich auf vieles erstreckt‘, wird durch ihre Abbilder bzw. Instanziierungen – also zB das Schöne durch die vielen schönen Handlungen; das Tapfere durch die vielen tapferen Handlungen; das Gerechte durch die vielen gerechten Handlungen – nicht geteilt oder vervielfältigt, sondern ist und bleibt eine Einheit. Indem sie weder Teile hat noch lediglich eine Menge von Eigenschaften der Werdewirklichkeit ist, ist sie jeder Veränderung, jedem Entstehen und Vergehen enthoben. Sie wird durch keine Eigenschaften beeinflusst, sie ist eingestaltig.

2.2     Ideen als Grund von Sprache

Die Platonische Rede von der Idee antwortet auch auf die Frage nach dem Grund geltungsdistinkten und wahrheitsfähigen Gebrauchs sprachlicher Ausdrücke. Dieses macht sie fern der semantischen Frage nach einem etwaigen Zuordnungs- bzw. Konstruktionsgefüge, das zwischen einem sprachlichen Zeichen und demjenigen bestünde, was von ihm bezeichnet wird. Diese Frage sollte erst im mittelalterlichen Universalienstreit aufbrechen, zudem in ihrer Transformation durch Descartes gleichsam zur Einstiegsgestalt in die neuzeitliche Philosophie werden. Unbehelligt von irgendeinem Zweifel an der Angemessenheit eines sprachlichen Ausdrucks und also daran, dass und ob er überhaupt einer von ihm intendierten Tatsache zu entsprechen vermag, ist die Platonische Idee die Referenzinstanz des Gebrauchs sprachlicher Ausdrücke. Dieser Gebrauch ist normiert, und zwar ontologisch normiert – normiert durch die Idee. Diese kann ihrerseits nicht reflexiv, sondern ausschließlich sekundärreflexiv bzw. apriorisch erkannt werden, entzieht sich also auch dem, was heute mitunter als semantische Frage agiert. Die platonische Idee ist so der Titel einer die Gleichrichtung von Seins- und Sprachordnung voraussetzenden Philosophie. Ihre Normierung des Gebrauchs sprachlicher Ausdrücke entzieht sich jeder Willkür. In den Erklärungshorizont der platonischen Idee einzutreten heißt, sprachliche Ausdrücke nie nur als Zeichen auffassen zu können – heißt, dass sie niemals Zeichen sein können, die von einem Bezeichneten trennbar wären. Keinen Ort also hat bei Platon die seit der neuzeitlichen Philosophie selbstverständliche Forderung, methodisch eine Referenzquelle des Gebrauchs sprachlicher Ausdrücke zu sichern: Im Rahmen platonischer Voraussetzungen ist ein Kontrollverfahren überflüssig, das hinzuweisen hätte entweder auf eine außersprachlich-zeichenhafte, auf eine gleichwohl aber der Werdewirklichkeit zugehörende, oder aber auf eine innersprachliche / sprach-lebensweltliche Verifikationsinstanz des Gebrauchs sprachlicher Ausdrücke. Die platonische Ideenkonzeption ist Erkenntnismetaphysik.

2.3     Ideen als Grund von abstraktem Denken

Die Platonische Rede von der Idee beantwortet schließlich die Frage nach dem abstrakten (mathematischen und ethischen) Erkennen, nach dem Grund nämlich der Erkennbarkeit mathematischer und ethischer Entitäten. Welche Entitäten aber sind es, die von den Sinnen nicht wahrgenommen werden können, weil sie abstrakt sind? Es sind die Ideen selbst und als solche. Mathematische, philosophische und moralische Entitäten. Ideen sind die vom erkennenden Subjekt unabhängigen und von dessen erkennendem Zugriff nicht veränderbaren, die ‚eingestaltigen‘ Urbilder. Durch sie kann zwar die sinnenhaft-empirische Wahrnehmung in der Abstraktion vom unmittelbar Erfahrenen und Wahrgenommenen dasjenige erkennen, was ist. Als ontologische Entitäten sind sie also Möglichkeitsbedingung wahrer Erfahrungsurteile, zudem des bedeutungsdistinkten Gebrauchs sprachlicher Ausdrücke. Vor allem anderen aber sind sie Möglichkeitsbedingung des wahrheitsfähigen abstrakten Erkennens und zugleich dessen eigentliches Objekt. Die höchste bzw. reinste – die eben abstrakteste – Gestalt des Erkennens ist das Erkennen mathematischer und philosophisch-ethischer Wahrheiten/Ideen. Die Ideen bedingen innerhalb des Konzepts Platons überhaupt erst das abstrakt-philosophische Erkennen, sie sind nicht nur Erkenntnisobjekte, sondern vor allem Erkenntnissubjekte. Sie agieren als Normen allen wahren, auch des empirischen und primärreflexiven Erkennens.

In der Gleichrichtung von Sein- und Erkenntnisordnung sind die Ideen die ersten, die echten Gründe. Sie zu erkennen, ist das Geschäft der Mathematik und der Philosophie. Der Philosophie liegt es eben nicht (nur) an den Dingen der Körperwelt, sondern an deren Ursprung (an deren Grund), weil an deren Wahrheit. Sie gibt sich nicht mit Meinungen, sondern ausschließlich mit echtem Wissen zufrieden. Und dieses entspringt der Idee und hat diese zugleich zu seinem Gegenstand. Es ist abstraktes Wissen – es abstrahiert von den sinnenhaft wahrgenommenen Gegenständen, indem es sie in ihrer Wahrheit und Allgemeinheit erfasst. Echtes Wissen erkennt die Ideen.

Dass dieses Erkennen der (nicht-gegenständlichen) Ideen die innerweltlichen Sachverhalte erkennt, zeigt Platon in seiner Anamnesis-Lehre, in seiner Mäeutik-Lehre und in seiner Synergistik-Lehre. Mit der Konzeption der Idee gelingt es ihm, sprachlich-abstrakte Urteile als prinzipiell wahrheitsfähig auszuweisen: Es kann sinnvoll über Wirkliches, über mathematische und ethische Gegenstände gesprochen werden; es kann abstrakt geredet werden, im Anspruchshorizont der Wahrheit, in bedeutungsklarer und bedeutungskonstanter Verständigung. Indem Platon mit dem Konzept der Idee auf die Frage nach den Möglichkeitsbedingungen vernünftigen und wahren Erkennens antwortet, kann sich die Rede von der Idee keinem dieser gegenstandsbezogenen Erkenntnisakte verdanken. Sie kann auf keinem Erfahrungsurteil gegründet sein. Vielmehr macht die Idee die prinzipielle Wahrheitsfähigkeit gegenständlichen Erkennens und Urteilens überhaupt erst möglich. Diese Erkenntnisakte (Gegenstandserkenntnisse, Erfahrungsurteile) werden in der platonischen Erkenntnismetaphysik daher als zu klärende Sachverhalte aufgegriffen, keineswegs als Lösung akzeptiert. Sie fragt nach der und sie zeigt an die Bedingung ihrer Möglichkeit. Entsprechend muss dieser Platonischen Grundgang aus reiner Vernunft (‚apriorisch‘) argumentieren. Und umgekehrt: Die Wahrheit des platonischen Ideenkonzeptes lässt sich nicht mit Erfahrungsurteilen und Gegenstandserkenntnissen, sondern ausschließlich rein-apriorisch bestreiten. Und daher wird die ontologische Frage nach der Wirklichkeit als Wirklichkeit apriorisch beantwortet. Die platonische Idee ist selbstbezüglich, jedoch nicht zirkulär. Jedes Denken, das das Ganze denkt, denkt (auch) sich selbst.

3      Naturwissenschaft: Pythagoreische Mathematisierung vorsokratischer Erstelemente

In seinen naturphilosophischen Dialogen – vor allem also im „Timaios“ – vermittelte Platon die vorsokratischen Traditionen sowohl miteinander als auch mit seiner Idee-Konzeption. Hierzu verbindet sie die qualitativ-ionische Naturphilosophie mit der pythagoreisch-eleatischen Naturphilosophie: Platon nutzte die geometrisch-kinematischen, die mathematischen Modelle der pythagoreisch-eleatischen Kosmologie, um die vormalige vorsokratisch-deduktive Elementenlehre der Ionier rational zu begründen. Im Rahmen der Ideenlehre werden die ionisch indizierten Ursprünge – also Feuer, Wasser, Luft und Erde – auf mathematische Größen zurückgeführt, auf reguläre bzw. regelmäßige geometrische Körper – auf Körper, die vollkommen sind, da jede ihrer Seiten den anderen Seiten und jede Kante den anderen Kanten des Körpers gleicht: Von allen Ecken eines jeden dieser regulären Körper gehen gleich viele Kanten aus, nämlich drei Kanten je Ecke beim Hexaeder, Tetraeder und Dodekaeder; vier Kanten je Ecke beim Oktaeder und fünf Kanten je Ecke beim Ikosaeder. Daher sprechen wir bei ihnen auch von den  fünf platonischen Körpern.

Mit seiner Rückführung ionischer Elemente auf geometrische Körper folgte Platon seiner Intuition, alles Seiende der sichtbaren Welt – also auch besagte ionische Elemente oder, so in der „Politeía“ („Der Staat“), die Objekte der Astronomie, die Sterne – als teilhabende Bilder (als ‚Schatten‘) fassen zu müssen eines eigentlichen, eines unsichtbaren, des einzig wirklichen, urbildlichen Seins. Sie nämlich nur als Bilder fassen zu dürfen, die an besagten Ideen teilhaben, hier: als teilhabende Bilder abstrakter, idealer Zahlen- und geometrischer Verhältnisse. Sie als teilhabende Bilder zu fassen, die verbunden sind mit und die durchdrungen sind von dem, dessen Bild sie sind und an dem sie (ontologisch) teilhaben. Platonische Körper sind Manifestationen jener idealen, jener geometrischen Verhältnis- und mathematischen Zahlenbestimmungen.

In seinem „Timaios“ konstruierte Platon ein von diesen regelmäßigen Körpern bestimmtes Weltmodell. In ihm wird das phänomenal Viele der Erde wie des Himmels auf jene abstrakt-idealen Verhältnisbestimmungen zurückgeführt, die sich in Drei- und Vierecken manifestieren und aus denen sich die komplexen Körper zusammensetzen. Die Gegenstände solch griechischer geometrischer Wissenschaftspraxis können keine sinnlich wahrnehmbaren (konkreten) Figuren, sondern müssen geistig wahrnehmbare, intelligible/ideale Figuren sein. In seiner Kosmologie/Astronomie nahm Platon zudem – nicht anders als einst die vorsokratischen Naturphilosophen – an, dass die Welt einen Anfang hat, sein „Tímaios“ enthält einen entsprechenden Schöpfungsmythos. Platon wollte die wahren/exakten Kreisbewegungen der Sterne mathematisch darstellen. Der gesamten antiken Naturphilosophie ist die (gleichförmige) Kugel die Idealgestalt räumlicher Exaktheit. Die Mathematik diente Platon dazu, diese Idealgestalt auch den Bewegungen der Wandelsterne/Planeten vorgegeben zu wissen und sie als Manifestation ihrer (urbildlich-durchdringend-kosmischen) Vollkommenheit zu begreifen. Die platonische Theorie der Planeten gestaltet sich als Ausführung dieses Axioms des mathematischen Exaktheitsideals: ‚Wahr‘ ist zunächst ein Synonym für ‚exakt‘, sodann, in der Astronomie, für ‚exakte Kreisbewegung‘.

Entsprechend betrieb die platonische Elementenlehre eine Mathematisierung/Geometrisierung der Physik: Die vier sublunaren Elemente – Feuer, Wasser, Luft, Erde – bestehen aus geometrisch spezifizierten Atomen, von denen jedes die Form eines regelmäßigen (platonischen) Körpers hat; indem zB Feuer (Tetraeder), Wasser (Ikosaeder) und Luft (Oktaeder) von Dreiecken begrenzt sind und miteinander in Maßgabe dieser zugrundeliegenden ideal-geometrischen Körper reagieren, können sich zwei Luftatome (Oktaeder, konstruiert aus acht Dreiecken) und ein Feueratom (Tetraeder, konstruiert aus je vier Dreiecken) zu einem Wasseratom verbinden: H2O.