Nur wenige Fragen ursprünglich fachphilosophischer Provenienz sind aktuell derart häufig öffentlicher Diskussion und Meinungsbekundung gegenständlich wie die Frage nach der Freiheit des Willens. Sie begegnet uns auch in wissenschaftlichen oder wissenschaftsnahen Exkursen, vor allem aber in bildungsbürgerlichen Diskussionen. Letztere bedienen sich gerne naturwissenschaftlich vermittelter Evidenzen. Die Freiheit ist strittig. Und dies nicht nur als (umgangssprachliche) Frage danach, ob der Mensch oder ob (auch) ein Tier frei sei. Sondern sie ist zuvorderst strittig als Frage danach, was wir meinen, wenn wir einem Menschen oder einem Tier oder gar einem fallenden Stein attestieren, frei zu sein oder auch frei zu handeln oder auch sich frei zu bewegen. Tiefengrammatikalisch-sprachphilosophisch gefragt: Was meinen wir, wenn wir einem Nominator den Prädikator ‚frei‘ zusprechen? Klärungsbedürftig sind also (a) Wortverwendungen von ‚frei‘ wie: „Der Gefangene wurde befreit“, „Die Landschaft lag frei vor ihr“, „Freie Fahrt für freie Bürger“, „Der Stein fiel frei zu Boden“. Noch größere Schwierigkeiten entstehen, wenn man (b) in Verbindung mit einem abstrakten Prinzip von der Freiheit bzw. davon spricht, dass etwas frei sei bzw. sich frei verhalte: „Er konnte frei wählen“, „Sie hat sich frei entschieden“, aber auch: „Der Mensch ist frei, und wäre er in Ketten geboren“ (Schiller) oder „Wir sind zur Freiheit verdammt“ (Sartre). Was meinen wir und was geben wir zu verstehen, wenn wir vom freien Willen, von der freien Entscheidung, von den freien Gedanken oder gar von der freien Liebe sprechen?

Die nun anstehende sprachliche Klärung führt dahin, die Frage nach der Existenz von Freiheit („Gibt es Freiheit – wirklich?“) als gegenstandslos abzulehnen, nämlich als Resultat missbräuchlichen Sprachgebrauchs – als Resultat einer „Verhexung unseres Verstandes durch die Mittel unserer Sprache“ (L. Wittgenstein, PhU §109). Daher wird geklärt werden müssen, welchem Nominator zu Recht und in welchem Sinn ihm der Prädikator ‚frei‘ zugesprochen werden kann.

1 Handlung und Wille

Im Rahmen gegenwartsphilosophischer Handlungstheorien werden für gewöhnlich zwei Redeweisen von Freiheit unterschieden, einerseits die Handlungs-, andererseits die Willensfreiheit. Beide ergehen in Rezeption und Rekonstruktion zentraler philosophischer Texte von der Antike bis zur Neuzeit, ebenso in den Gegenwartsphilosophien. Beiden Redeweisen von Freiheit schließen einander nicht aus, sie sind also nicht in jenem Sinn widersprüchlich, wie es im Prinzip vom ausgeschlossenen Dritten bzw. im Nichtwiderspruchsprinzip angeführt wird. Beide Sprachausdrücke (Handlungsfreiheit, Willensfreiheit) sind nicht kontradiktorisch. Sie nehmen vielmehr je für sich eine spezifische Perspektive auf das Gesamt des den Handlungstheorien Gegenständlichen ein. Sie nehmen eine je spezifische Perspektive auf den Menschen ein.

Alltägliches Leben ist handelndes Leben, ist zunächst und zumeist aktives Leben. Es ist geprägt von Aktivitäten, die, im aristotelischen Sinne unterschieden, entweder (a) poietisch sind (Sport treiben, einen Baum fällen, ein Haus bauen, die Wohnung putzen, frische Lebensmittel einkaufen, …). Sie können aber auch (b) praktischer Art sein, etwa dann, wenn im Rahmen eines wissenschaftsbasierten Studiums oder einer Berufsausbildung die Kenntnisse zum Aufbau und zur Gestaltung guter sportlicher Trainingseinheiten, zur Erhaltung des Ökosystems Wald, zur Statik stabiler Häuser, zur Verhinderung von Umweltschäden durch chemische Reinigungsmittel, zum Beitrag vegetarischer oder veganer Ernährung für ein gesundes Leben und für eine nachhaltig-ökologische Ökonomie erworben werden. Aber natürlich können Aktivitäten auch (c) theoretischer Art sein, etwa dann, wenn wir philosophieren, wenn wir Musik hören oder wenn wir meditieren.

In mancher dieser Hinsichten ist nicht nur der Mensch, sondern sind auch Tiere aktiv, etwa dann, wenn der Hund seinen Knochen holt, das Pferd durch den Wald galoppiert oder des Morgens, wenn der Hahn kräht. Hier wie dort, dem Menschen nicht anders als dem Tier, ist (spezifische) Aktivität möglich. Sie ist möglich, wenn und insofern ihr kein Hindernis im Weg steht. Denn ein kranker Mensch treibt keinen Sport, in der Dunkelheit können wir kein Buch lesen, ein im Zwinger eingeschlossener Hund kann seinen Knochen nicht aus dem Garten holen. Erst, wenn diese Hindernisse weggeräumt sind, wäre es Mensch wie Tier möglich – sie wären frei –, zu handeln. Daher sprechen wir von Handlungsfreiheit. Frei zu sein im Sinne der Handlungsfreiheit meint, in der Aktivität nicht gehindert zu werden.

Frei im Sinne der Handlungsfreiheit sind wir nicht ursachen- und grundlos. Wir sind eingebunden in vielfältige Bedingungsverhältnisse. So kann man als Mann nicht Frau, als Kind eines Sozialhilfeempfängers nicht Sohn eines Millionärs und im Moment des Fußballspielens nicht zugleich Handballer sein. All dies ist selbstverständlich. Wohl niemand würde sich in einer der genannten Situationen als unfrei wähnen und verlangen, man möge ihn befreien. Täte er es doch, so würden wir ihn eher therapeutischer Hilfe anempfohlen sein lassen, als dass wir seinem Ansinnen nachkommen wollten. Handlungsfrei zu sein bedeutet nicht, bedingungslos handeln zu können.

Freilich ist es mit dieser Handlungsfreiheit doch nicht ganz so einfach, wie es hier zu sein scheint. Darauf wurden wir von Hume aufmerksam gemacht, dies hatte Kant expliziert. Denn Hume hatte die (noch bei Leibnitz auf Gott referierende) Rede von einer umfassend-kausalen Harmonie der Welt (des Seins) darin durchschaut, tatsächlich nur die Regelmäßigkeit unverbundener Einzelereignisse, also eine statistisch valide Aufeinanderfolge auszusagen. Und Hume hatte den intentionalen Ursachenbegriff Lockes abgelöst, indem er von einem Nacheinander, also nicht mehr von einem propter-hoc, sondern von einem post-hoc sprach. Im Horizont dieser Maßgaben Humes kann von Freiheit nur in Betreff je einzelner Handlungen gesprochen werden, die auszuführen wir nicht gehindert sind. Die Freiheit der Handlungsfreiheit ist eine bloß situative, ist eine streng singuläre Freiheit. ‚Frei‘ ist eine Handlung/Aktivität, wenn sie ‚nicht verhindert‘ wird. Sie ist frei, wenn sie tatsächlich ist. Frei i. S. der Handlungsfreiheit kann eine Handlung sein, insofern sie, mit Kant gesprochen, der Gegenstand unmittelbar-sinnlicher Anschauung ist – insofern es sie gibt, sie aktuell ist. Systematische Zusammenhänge, das Handeln in seiner Möglichkeit zu begreifen, Kausalität oder Intentionalität liegen außerhalb dieser Freiheit.

Kant sah dieses, er sah, dass sich die Handlungsfreiheit als Freiheit der einzelnen Handlung jeder Systematisierung, jedem Begreifen entzieht. Hume sah dies auch, es störte ihn aber nicht weiter, vielmehr beschied er uns, gut empiristisch und schon von den Sophisten der Antike so praktiziert, Bescheidenheit und Entsagung im Anspruch des Erkennens und in der Begründung von Handlungszielen, Handlungsmöglichkeiten und Handlungszusammenhängen. Ein bloß in seiner Faktizität Erkanntes/Erfahrenes, besser: ein bloß (sinnlich) Wahrgenommenes, ein insofern passiv Erlittenes kann nicht erkannt, kann nämlich weder in seiner Möglichkeit noch in seiner Notwendigkeit begriffen, kann nicht a priori erkannt werden. So Kant. Etwas zu begreifen meint aber genau und meint allein dies: Wer etwas begreift, kann sagen, dass, inwiefern und warum etwas möglich ist und notwendig. Es meint, mit Aristoteles gesprochen, das allgemeine/erste Prinzip seines Seins anzugeben. Mit Descartes gesprochen: Etwas zu begreifen meint, sich des Begriffenen zweifelsfrei gewiss zu sein. Hierzu hatte die traditionelle Philosophie all jene Vorstellungen, Begriffe und Prinzipien installiert, die dann aber von Hume zurückgewiesen worden waren. Und diesem Begreifen (von Freiheit) galt nun wiederum das Interesse Kants, hierin explizit gegen seinen „Aufwecker“ Hume gerichtet. Er wollte begreifen, er wollte den Kampfplatz der Metaphysik nicht einfach räumen, sondern ihn klären und den (einstmaligen) metaphysischen Fragen einen neuen Platz geben. Er wollte die Ewigkeit der menschlichen Seele, das Freisein des Menschen und die Existenz Gottes vernünftig zustimmungsfähig bewiesen, er wollte sie ohne Paralogismen und Antinomien und ohne das Ideal der Vernunft erkannt wissen. Wenn daher Freiheit an ihr selbst nicht begriffen werden kann durch singulär-empirische Handlungs- oder Erfahrungsgegebenheiten (‚… nicht gehindert werden‘), musste Kant die Ebene des Wissens von Gegenständen und Fakten/Tatsachen verlassen und mit Descartes die Ebene des Selbstwissens und Selbsterkennens betreten.

Kant ging tatsächlich diesen Weg des Selbstbewusstseins, er ging den Weg des Willens. Er ging den Weg von der bloß angeschauten Handlungs- zur (apriorisch) erkannten Willensfreiheit. Die Willensfreiheit ist der (transzendentale) Begriff der Handlungsfreiheit. In der Sprache Kants: Einerseits und zunächst die praktische Freiheit (nicht gehindert zu werden – Handlungsfreiheit). Sie wird beobachtet und ‚durch Erfahrung bewiesen‘, ist also unbewiesen und steht nicht an, bewiesen zu werden. Ihr Ort ist die ‚Kausalität der Natur nach‘, sind die ‚Naturgesetze‘. Andererseits die ‚freie Willkür (arbitrium liberum)‘, die Freiheit ‚in transzendentaler Bedeutung‘ bzw. ‚im kosmologischen Verstande‘ als das Vermögen, einen Zustand von selbst anzufangen bzw. als die Spontanität, von selbst anheben zu könne‘.

Von eigengewirktem Aktivsein – von der Willensfreiheit – können wir nicht kraft Beobachtung wissen. Dass wir kraft eigenen Willens handeln, erkennen wir nicht nachträglich, nicht in der Reflexion auf eine vorgängige (‚freie‘) Handlung. Wir werden uns dessen vielmehr bewusst in unserer Aktivität, in der Selbsterfahrung: „Ich melde mich“ – „Ich öffne das Fenster“ – „Ich hebe meinen Arm“. Im Erleben, etwas anfangen zu können, ist (transzendental-implizit) die Idee der Willensfreiheit ausgebildet. Dass ein Wille Ursache von Handlungen ist, erkennen wir nicht an oder in der Welt, nicht anhand naturgesetzkausal verursachter Gegenstände und Ereignisse, nicht durch Beobachtung und nicht durch empirischen Nachweis. Sondern es verhält sich umgekehrt: Wir erkennen durch die Selbsterfahrung (‚Erleben‘), von selbst anzuheben, dass wir Ursache beobachtbarer – und von uns im Modus von Ursache und Wirkung geordneter – Phänomene sind. Genauer: Ursächlich und tätig sind wir dort – sind wir dann und sind wir genau dann –, wenn wir (frei) wollen. Ursächlich und tätig sind wir im und als Wollen. Und von dort aus erst erkennen wir Ursächlichkeiten der äußeren Natur und formulieren wir Naturgesetze. So zumindest Kant. So die Implementierung und Transponierung des cartesianischen Selbstbewusstseins als Kant’sche Autonomie. Das Selbstbewusstsein ist Wollen, der Mensch ist sich seiner selbst bewusst, besser: Der Mensch ist sich ursprünglich seiner selbst bewusst und ist ursprünglich bei sich selbst im Wollen. So Kant, über Descartes hinaus. Er ist sich seiner selbst (unthematisch) bewusst in der ‚conscientia‘ nicht als ‚scientia‘, sondern als ‚voluntas‘ – convoluntas. Das Wollen ist das Fundamanet, ist der Grund. Im voluntativen Ansetzen einer Aktivität (und nicht in der beobachteten Aktivität, nicht im reflektierten Handeln und Leben, nicht im Sprechen über die Aktivität) weiß der Mensch von sich, weiß und erfährt („empfindet“) er sich als tätiges Ich – als reines Ich. Und weiß er von der Ursächlichkeit der Natur und seines eigenen Handelns.

Es ist dies ein Wissen, das weit entfernt ist davon, der Reflexion zu entstammen. Es entstammt dem Wollen, es liegt der Reflexion (transzendental) voraus. Reflexion und Bewusstsein werden aus dem Wollen als aus ihrem Grund entlassen (entborgen, geboren). Insofern das Wollen / das reine Ich-selbst (die transzendentale Apperzeption) Fundament und Grund ist, kann es niemals Objekt menschlichen Wollens oder Reflektierens sein. Ein „Ich will mich“ oder „Ich erkenne mich“ ist ein Missverständnis, verfangen den Fallstricken des empirischen Bewusstseins. Kant: Die Freiheit hat ihren Ort nicht im erscheinenden, sondern im intelligiblen Ich. Von Kierkegaard wird dieses Missverständnis als ein Missverhältnis indiziert werden, als Selbstverfehlung. „Ich will/erkenne mich“ ist ihm eine Form der Verzweiflung. Von ihr ist der Mensch (der ‚Geist‘, das ‚Selbst‘) befallen, wenn er zum Objekt (seines Erkennens/Wollens) geworden ist. Wille, Freiheit und Ich sind keine Gegenstände der Welt, haben ihren Ort nicht in der Welt, kommen in ihr nicht vor, werden nicht erfasst in jenem Begriff, der in der Welt Gegenstände erkennen mag. Jeder, der die Freiheit des Ich in der Welt sucht, wird sie verfehlen – wird sich verfehlen. Stattdessen: Immer dann und solange wir (frei) wollen, sind wir tätig, sind wir Ich. So die Kant’sche Korrektur des Empirismus Humes. Nur im Wollen wirken wir in der Welt (der Gegenstände). Unser Wissen von uns, aber auch von den Ursachen, Gegenständen und Sachverhalten ist rückgebunden (nicht an das Wissen, sondern) an das im Wollen Eröffnete, an die im Wollen ergehende Selbsterfahrung (‚convoluntas‘) des (reinen) Ich.

Damit hat sich auch die Antwort auf die Frage danach geändert, ob der Mensch angesichts der vielfältigen Determinationen und Bedingungsverhältnisse frei wollen und aus freiem Willen handeln kann. Denn nun ist klar: Nicht die Fremdbestimmung, vielmehr die Selbstbestimmung ist primär, ist das Ausgangsphänomen menschlicher Selbst- und Weltgewahrung. Das Selbstverständlichste ist die Freiheit. Darin, im und als Akt des Wollens auf Möglichkeiten eigenen Handelns hinauszugehen, ist die ‚Willensfreiheit‘ indiziert als ‚Hineinlaufen in eine vorweggenommene Möglichkeit‘. Dies wird von Heidegger entfaltet werden. Sie ist begriffen als Sich-etwas-vornehmen. Daher auch kann Willensfreiheit sein, wo Handlungsfreiheit (schon lange) nicht mehr ist. Der Gefangene kann wollen und ist frei. Und der Mensch erfährt (empfindet) sich, indem er will – indem er ‚einen Zustand von selbst‘ anfängt. Im Wollen entgrenzt er sich und ist er schon entgrenzt – entgrenzt auf ein der je aktuellen Vorfindlichkeit (transzendental) Vorgängiges. Im Wollen bin ich frei.

Die (bloße) ‚Handlungsfreiheit‘ meint als negative Definition der Freiheit die ‚Unabhängigkeit von (psychischen, physischen, politischen, ökonomischen) Zwängen‘. Der Wille aber drängt danach, Möglichkeiten als die seinigen zu ergreifen. Die Willensfreiheit erweist sich als positive Definition von Freiheit. Der Wille drängt zur Wahl. ‚Willensfreiheit‘ meint, so können wir vorerst zusammenfassen, die ‚Fähigkeit des (selbst-)bewussten Menschen, sich selbst zu bestimmen – eine Fähigkeit, die sich realisiert in der Selbsttätigkeit des bewussten Menschen‘. Selbsttätigkeit bedarf eines Fundamentes, eines Grundes. Was ist dieser Grund? Die convoluntas, die primär-ursprüngliche (transzendentale) Selbstbestimmung. Aber wir müssen uns dieses Selbst noch genauer anschauen, wir müssen Einblick nehmen in die Dynamik autonomer Selbstbestimmung. In die Selbstbestimmung müssen wir Einblick nehmen so, wie sie von Kant gefasst wurde. In die Selbstbestimmung aber auch so, wie sie im Deutschen Idealismus, dann auch (und nach-idealistisch) von Kierkegaard oder Heidegger gefasst wurde. Wie kommt das Fundamant / das Ich zur Wahl, wie zu (seinen) Möglichkeiten? Und: Was ist das Selbst, das sich im freien Wollen (selbst) bestimmt?

2      Willensfreiheit: Wahl und Entscheidungsfreiheit

Freiheit ist Handlungsfreiheit, sodann Willensfreiheit als Wahlfreiheit. Der Wille hat die freie Wahl, da und insofern er sich auf (reale oder fiktive) Inhalte bezieht, etwa auf Bücher, die er lesen, auf Äpfel, die er essen, auf Berufe, die er ergreifen, auf Sportarten, die er betreiben, auf Frauen oder Männer, die er lieben will. Der wählende Wille richtet sich auf ein Objekt, auf ein reales oder fiktives, in jedem Fall aber auf ein sprachlich (irgendwie) repräsentiertes, auch auf ein abstraktes Objekt.

Die nun gegenständliche Frage nach dem Fundamaent und Grund der Wahl erinnert an den cartesianischen Weg nach innen. Dieser war bereits zu Beginn des fünften Jahrhunderts von Augustinus (‚Si enim, fallor sum‘) gegangen worden, wenn auch unter anderen erkenntnismetaphysischen Voraussetzungen. Bei und mit Descartes ist dies der Weg des denkenden, des nach den Gründen seines Denkens und Handelns fragenden handelnd-lebenden Menschen geworden. Es ist der Weg des Menschen, der an der Wahrheitsfähigkeit seiner Erkenntnisurteile zweifelt, der insgesamt verunsichert, der dezentriert ist. Und es ist der Weg, der zu einer Subjektzentrierung des Menschen führt, zu einer Zweifelsfreiheit und umfassenden Sicherheit: Auf dem (zweifelnden, denkenden, empfindenden) Weg hin zum ursprünglichen, zum präreflexiven Geist-Selbst der conscientia. Menschliches Leben ist primär und ursprünglich selbstbewusstes Leben. So Descartes. Daran anschließend konnte Kant das Theorem einer Vernunft (eines Denkens) konzipieren, die sich notwendig und in allen ihren Konstitutionsgründen bzw. Selbst- und Objektbezügen selbst bestimmt, insofern also rein ist: Sie ist gänzlich und umfassend autonom. Eine (Kant’sche) Vernunft, die sich daher in ihren Erkenntnisurteilen auf kategorisch bestimmte Prinzipien und Maximen menschlichen Handelns berufen kann, mithin in der Lage und berechtigt ist, ausnahmslose und allgemeingültige Imperativsätze des Handelns oder des Willens zu formulieren.

Solches, sich also selbst der Gesetzgeber zu sein und sein zu wollen, ist, ansatzweise schon bei Pico della Mirandola, das Signum der Neuzeit. Menschliches Denken und Wollen bezieht sich in seinem Ursprung nicht auf einen (gedachten oder gewollten) Gegenstand oder Sachverhalt. Gegenstände und Sachverhalte unterliegen stets dem Zweifel, den Destruktionen auch des cartesianischen genius malignus. Der Kant’sche Wille aber ist der zu sich selbst reduzierte Wille, ist convoluntas. Es ist der (transzendental) vor der Wahl und ursprünglich in ihr agierende, insofern der von der Wahl abstrahierende Wille. Er abstrahiert von jenem Akt, der den Büchern, den Äpfeln, dem Beruf, der sportlichen Betätigung, dem Partner gilt. Es ist der Wille, dem nichts gegeben ist, was er wollen könnte. Es ist der Wille, der nichts will – der Wille ohne Welt (ohne die Welt der Gegenstände, Sachverhalte und Ursächlichkeiten). Es ist der seiner selbst bewusste, der transzendentale Wille. Es ist das Selbst, das transzendentale Selbst, das (reine) Ich.

Dieser (transzendentale) Willen wird – da und insofern er sich selbst bestimmt – Entscheidung genannt: Entscheidungswille, Entscheidungsfreiheit. Es ist der Wille, der (sich) entscheidet, der sich selbst seine Gestalt gibt. Programmatisch ausgesprochen und philosophiesprachlich eingelöst von Kant. Es ist der sich selbst installierende, der mit sich selbst identische, der schöpferische Wille reinen Selbstbezugs (der tatsächlich aber gar kein Bezug ist, da ihm jegliche Dualität fehlt, auf die er bezogen sein könnte). Ein Wollen damit, das von nichts abhängt, das von keinem ihm äußerlichen Inhalt, von keinem ihm fremden Bestimmungsgrund weiß noch wissen kann. Ein (transzendentales) Wollen. Ein Entscheidungswollen. Der Wille, der sich als reiner (im Kant’schen Sinne: als rein vernünftiger) Wille selbst konstituiert. Er gestaltet sich selbst, indem er sich selbst sein Gesetz gibt. Und dieser Wille ist autonom in dem Maße und dann und nur dann, wenn er selbst es ist, der seine eigenen Inhaltsbestimmungen (Objekte) hervorbringt – der sie hervorbringt kraft der reinen, kraft der mit dem Willen realidentischen Vernunft: kraft der selbstbewussten und damit selbsttätigen (und eben nicht nur anschauend-reflektierenden) Vernunft. So in der Sprache Kants.

Angesichts auch der Verwirrungen, die dem heutigen Sprechen von Freiheit oftmals eingetragen werden von publikumsaffinen Naturwissenschaftern/Neurologen, die philosophisch unkundig, vielfach auch philosophisch ignorant sind, kann auch gesagt werden: Der Wille ist autonom, da und insofern Ich es bin, der/die etwas will. Es ist der Wille, sofern er sich auf keinen willensexternen Gegenstand bezieht noch beziehen kann. Sondern es ist der Wille, sofern er sich auf sich selbst bezieht, von sich aus will, von sich aus anfängt. Der Wille ist Ich.

In materialer Hinsicht also sind beide verschieden, Wahlfreiheit (material determinierter Wille) und Entscheidungsfreiheit (material indeterminierter Wille). In formaler Hinsicht aber kommen sie überein, beide sind formal indeterminiert: Von Willensfreiheit zu reden macht nur dann Sinn, wenn (handlungstheoretisch) zugestanden wird, dass der menschliche Weltbezug primär – transzendental vorgängig – keine Urteils- oder Erkenntnisfunktion, sondern ein Wollen ist. Dem primär-ursprünglichen (transzendentalen) Wollen entspringt der Weltbezug – das Wollen ist keine Funktion (kein Prinzipiat) des Weltbezugs, ist nicht dessen Deprivationsform.

Im Bemühen, den Maßgrund dieses Willens zu kennzeichnen, formierte sich, in Fortschreibung Kants, die Philosophie des deutschen Idealismus: Was lässt, vom Subjekt des Willens her gedacht, den Willen sich selbst so verstehen, dass er autonom sein will, dass er sich seine Freiheit selbst geben will? Und wie autonom überhaupt kann eine Freiheit des einzelnen Willens sein? Kann individuelles Wollen überhaupt autonom sein? Oder, von der anderen Seite, vom Objekt her gedacht: Woher kommen die Möglichkeiten, die der Wille als die seinigen aufgreift, um sich in ihnen und sie durch sich zu realisieren? Ist es nicht so, dass der Wille im Hinausgreifen auf Gewolltes sich irren, dass er sich selbst als auch sein Objekt verfehlen kann?

Diesen Fragen nach dem Maßstab/Grund des frei-autonomen (transzendentalen) Willens ging die idealistische Philosophie nach. Sie ging den Weg einer absolut gesetzten Willensfreiheit. Ein anderer Weg lief, in Revision solch idealistischer Verabsolutierung autonomen Wollens, über die Verinnerlichung von (transzendentaler) Freiheit. So bei Kierkegaard, so bei Nietzsche. Von diesen sollte dann wiederum die Gegenwartsphilosophie ihren Ausgang nehmen (ohne dabei freilich alle Evidenzen idealistischen Freiheitsdenkens abzulehnen).

3      Freiheit: Absolute Autonomie des absoluten Ich

Im Erbe nominalistischer Unterminierung jeder semantisch-gegenständlichen Referentialität von Wahrheit hatte Descartes die (a) Sicherung menschlicher Erkenntnis- bzw. Urteilswahrheit durch die Sicherung der Vorstellung (‚idea‘) Gottes installiert. Diese Sicherung wurde als ontologischer Gottesbeweis tradiert, die Vorstellung Gottes war zum Garanten der Urteils-/Satzwahrheit geworden. Auch die Angriffe eines genius malignus konnten ihr nichts anhaben. Indem Gott so der Philosophie nur mehr das Prinzip und der Garant einer Erkenntnissicherung war, musste es in den Folgejahren zu einer Entbindung philosophischer Gotteslehre von den traditionellen religiösen Gehalten und Konnotationen kommen – der Gott der Philosophen war nun kein Gott mehr Abrahams, Isaaks und Jakobs (vgl. B. Pascal, sodann M. Heidegger). Zugleich war es ein Gott, der zwar bei Descartes erst nach dem Gang des Denkens durch den Hades universellen methodischen Zweifels als Sicherungsinstanz der Selbstbewusstseinswahrheit – ‚Ich bin, ich existiere‘ (‚ego sum, ego existo‘) – installiert war, der sich nun aber der postcartesianischen Philosophie anbot, diese Erkenntnissicherung einfach dadurch zu erbringen, dass man (b) ihn zum einzigen Gegenstand von Philosophie macht, womit (c) jener Zweifel nicht mehr durchzuarbeiten war. Und schließlich war der Philosophie im vorläufigen Abschluss und Höhepunkt cartesianisch inszenierten Denkens bei Kant (d) die Freiheit zur Autonomie geworden. Freiheit ist als individuelle Autonomie des Willens (im Gegensatz zur Heteronomie der Natur). Das transzendental-intelligible Ich ist frei.

Insofern Philosoph:innen meinten, nicht mitgehen zu können den subjekt-transzendentalphilosophischen Weg Kants, eine Harmonie von Freiheit und Natur (lediglich) in moralphilosophischer Deduktion zu postulieren – Unsterblichkeit/Seele, Freiheit, Gott –, ergab sich ein anderer Weg: Diesen hatte Kant noch zu gehen gescheut, ihn hatte er nicht in den Blick genommen. Gleichwohl dieser Weg in stringenter Konsequenz seines Freiheitsbegriffs liegt. Besagte Harmonie würde nämlich auch dadurch hergestellt werden können, dass einer der beiden Gegensatzpole (Freiheit – Natur) gestrichen und der jeweils andere absolut gesetzt wird: Entweder man setzt zu Lasten der Freiheit die (Heteronomie der) Natur absolut und generiert einen Universaldeterminismus. Oder aber man setzt zu Lasten der Natur(notwendigkeit) die (Autonomie der) Freiheit absolut und generiert einen Willens-/Geistuniversalismus. Dieser würde dann freilich kein Geist eines individuell-endlichen Menschen mehr sein können. Sondern er würde ein umfassender, ein absoluter Geist sein müssen. Als Philosophie des deutschen Idealismus etablierte sich der letztgenannte Weg: Idealistisch zu philosophieren meint (bei allen Unterschieden der einzelnen idealistischen Systeme/Autoren), die (von Descartes als zweifelsfrei gewiss ausgewiesene) Idee Gottes zum Ausgang und Beginn philosophischen Denkens zu nehmen, dabei aber deren Anspruch, die Wahrheit des Erkennens zu sichern, nicht durch einen vorgängigen (methodischen) Zweifels zu prüfen, sondern die Idee Gottes zur Idee des Absoluten zu transformieren.

Als inhaltliche Bestimmung (dieser Idee) des Absoluten gilt dann die absolute Autonomie, nämlich die absolute Autonomie des Selbstverhältnisses des denkenden Ich. Jedoch mit einer entscheidenden Änderung: Dieses Ich kann dadurch, dass die Freiheit als absolute Freiheit gefasst wird, ausschließlich als absolutes Ich, als absoluter Geist thematisch sein. In keinem Fall konnte das Ich individueller oder sonstig begrenzter Geist bzw. individuelles Bewusstsein/Selbstbewusstsein sein. Den Idealisten wurde die Freiheit des einzelnen Menschen zur bloßen (endlichen) Erscheinungsform absoluter Freiheit. Dies alles lag in zwingender Konsequenz absolut begriffener und darin selbstbewusster Autonomie-Freiheit. Dies wurde von den Philosophen des Deutschen Idealismus, besonders von G.F.W. Hegel, expliziert und radikalisiert. Das von Descartes phänomenologisch und geltungslogisch an das individuelle Menschen-Ich gebundene Selbstbewusstsein konnte fortan ausschließlich im Rahmen dieser absoluten Freiheit des absoluten Geistes gefasst, es musste daher transformiert werden. Es musste zum absoluten Selbstbewusstsein werden, zu einem Selbstbewusstsein, das absolut und zugleich identisch ist mit der Autonomie. Selbstbewusstsein und Autonomie mussten absolut werden: Für die idealistische Absolutsetzung kann ausschließlich die (sich schon immer) ihrer selbst bewusste absolute Autonomie-Freiheit des Ich das Grundprinzip der Wirklichkeit und der Deduktionspunkt aller (insofern: ‚idealistischen‘) Philosopheme sein.

Die (metaphysische) Wirklichkeit ist den Idealisten daher weder spinozistisch-pantheistische All-Einheit noch die bloße Summe unverbundener (a-synthetischer) Einzelmomente. Metaphysisch wirklich ist ihnen allein die absolute Freiheit, die jedoch durch das Prinzip des Bewusstseins – durch das Selbstbewusstseins (Ich) – in sich differenziert ist. Eine absolute Freiheit damit, die dadurch, dass sie (selbst-)bewusstseinsdifferenziert ist, ihrerseits dem endlichen Bewusstsein Zugang gewähren kann, nämlich im Modus des Erkennens. Im Rahmen idealistischer Philosophie ist das philosophische Denken die endliche Erscheinungsform absoluter Freiheit und absoluten Erkennens. Im Gang idealistischer Philosophie werden im Fortschritt des philosophischen Begriffs die absolute und die endliche Freiheit, das (absolute) Ich und das (individuell-endliche) Ich miteinander identifiziert. Von endlicher Freiheit (Ich) hat daher zu gelten, schon immer und ursprünglich (transzendental) mit absoluter Freiheit, mit dem Ich identisch zu sein. Wirklichkeit als Wirklichkeit ist als absolutes Selbstbewusstsein, dieses als absolute Freiheit erkannt. Und endliche Wirklichkeit ist als Ausdruck und Vollzugsgestalt absoluten Selbstbewusstseins, als Ausdruck und Vollzugsgestalt absoluter Freiheit erkannt.

Was aber war damit aus dem Gott der Religion, was aus dem Gott der Philosophie geworden? Was geschieht, wenn man, wie es die Idealisten tun, die Idee Gottes zur Idee des Absoluten transformiert, indem das im cartesianischen Selbstbewusstsein als ‚Ich bin, ich existiere‘ ergehende Selbstverhältnis mit Kant als autonom (Ich), über Kant hinaus aber auch als absolut (absolutes Ich) begriffen wird?

Die Antwort ist klar. Sie mag Religion und Kirche ins Wanken bringen: ‚Gott‘ wird zum Namen des absoluten Selbstbewusstseins (des absoluten Ich). Und umgekehrt wird jedes von Gott Erschaffene zur Erscheinungsform Gottes. Zur Erscheinungsform eines Gottes aber, der als selbstbewusste Absolut-Autonomie oder, bedeutungsgleich, als autonomes Absolut-Bewusstsein der Philosophie gegenständlich, recht gesehen dadurch aber ihr (eigentliches) Subjekt geworden und darin zugleich gänzlich entbunden ist von religiösen Konnotationen. Erscheinungsform Gottes zu sein heißt nun, Aspekt und Vollzugsgestalt des göttlichen/absoluten Bewusstseins zu sein – Moment/Phase jenes Geschehens zu sein, in dem Gott sich seiner selbst mehr und mehr bewusst wird: Jedes endlich Wirkliche, zuoberst aber das Selbstbewusstsein des endlich-individuellen Menschen, ist Aspekt und Moment der Selbstbewusstwerdung des Absoluten (Gottes), des absoluten Ich, des vollendeten Sich-seiner-selbst-bewusst-werdens des Absoluten. Alles Wirkliche ist Bewusstsein, ist Freiheit. Alles Wirkliche ist absolutes Ich.

Noch nicht ist damit aber geklärt, was dieses Selbstbewusstsein an ihm selbst, was also sein Begriff ist. Bei Kant war es die oberste, die eigentliche Synthese/Einheit (transzendentale Apperzeption) menschlichen Erkennens: Das Selbstbewusstsein ist das Fundament und der Grund, ist (intelligibles) Ich. Wodurch unterschied sich das Erkennen, als das dieses Kant’sche Selbstbewusstsein ist, von allem anderen Erkennen? Es – das Ich, die ‚fundamentale Vorstellung meiner selbst‘ – war (a) eine „gänzlich leere Vorstellung […], um welches wir uns in einem beständigen Zirkel herumdrehen, indem wir uns seiner Vorstellung jederzeit schon bedienen müssen, um irgendetwas von ihm zu urteilen“ (I. Kant, KrV B404; A346f; Hervorhebung C.T.) Ein Erkennen war es zudem, das (b) nichts mit dem ‚inneren Sinn‘ (Zeit) oder mit dem ‚äußeren Sinn‘ (Raum), nichts mit dem empirische Bewusstsein zu tun hat. Und natürlich konnte es (c) weder sinnliche Anschauung noch begriffliches Denken sein, da es als fundamentalste Synthesis aller Erkenntnis die Anschauung und den Begriff überhaupt miteinander verbindet, sie synthetisiert.

Damit aber hatte Kant die Spezifität des Selbstbewusstseins-Erkennens nur negativ gefasst, dessen positive Bestimmung stand noch aus. Positiv geklärt hatte er lediglich zweierlei: Zum einen, (a) dass das von Descartes im Selbstbewusstsein bzw. im ‚Ich bin, ich existiere‘ ausgesagte Sein/Existieren der Gegenstand eines Erkennens ist, das der sinnlichen Anschauung und dem begrifflich-reflexiven Denken (transzendental) vorausgeht, diesem also nicht verfügbar ist. Die Philosophen des Deutschen Idealismus (bes. J.G. Fichte) konnten hier ansetzen: Das als Selbstbewusstsein ergehende Erkennen ist an ihm selbst unmittelbar, im Selbstbewusstsein sind wir unmittelbar bei uns. Es ist eine intellektuelle Anschauung (so Fichte), eine intellektuale Anschauung (so Schelling). Wollen wir uns (philosophisch-reflexiv) unserer selbst bewusst sein, mithin das Ich philosophisch erkennen, können wir dies ausschließlich auf der Basis und im Rahmen dieses ursprünglich-apriorischen und unmittelbaren Selbstbewusstseins, im Rahmen dieser intellektuell-intellektualen Anschauung tun. Diese ist ihrerseits dem philosophischen Wissen nicht gegenständlich, sie ist ihm unvorgänglich. Wir können/müssen uns daher (lediglich) ein Bild von uns machen, an dem wir uns dann in einem zweiten Schritt re-flektieren, mithin wieder-begegnen können: Wir erkennen uns selbst, nachdem wir uns ein Bild von uns gemacht haben – und dann erkennen wir uns reflexiv, also (nur) als Bild.

Zudem hatte Kant als zweite positive Spezifizierung des als Selbstbewusstsein ergehenden Erkennens gezeigt, (b) dass es keine sinnliche, sondern eine intellektuelle Vorstellung ist, eine Vorstellung nämlich der Selbsttätigkeit eines denkenden Subjekts. Das, was wir erkennen, wenn wir uns selbst erkennen, ist eine Aktivität – ist nämlich die Aktivität der Synthese und Einheitsschaffung, als die und in der wir uns dann erkennen. Nur im Vollzug und im Ausmaß dieser Aktivität erkennen wir uns selbst, können wir wissen, dass wir es sind, die dieses tun – dass wir es sind, die aktiv sind. Oder auch: In Aktivität (‚einen Anfang machen können‘), in Freiheit, bin ich Ich. Und nur hier. So schon hatte es Kant angedeutet: Das Bewusstsein unserer selbst ist ein ‚Actus der Spontanität‘. Und so nun Fichte: Wir werden uns unserer selbst bewusst nur im Initiativ-/Aktivsein, im Tun – „‘Ich‘ und ‚In sich zurückgehendes Handeln‘ sind zwei völlig identische Begriffe“ (J.G. Fichte, Zweite Einleitung, 216 (Hervorhebung C.T.). Damit ist klar: Die im Selbstbewusstsein unmittelbar gegebene Erkenntnis der intellektuell-intellektualen Anschauung ist eine (ad a) ursprünglich-apriorische (anschauende) (ad ib Aktivität; das Selbstbewusstsein ist kein Gegenstand des Bewusstseins (und damit auch kein Gegenstand in der Welt), sondern ‚Faktum des Bewusstseins‘. In ihr, in der intellektuell-intellektualen Anschauung, als die das Selbstbewusstsein ist, sind also nicht nur alle Gegensätze des Endlichen aufgehoben, etwa der Gegensatz von Subjekt und Objekt. Vielmehr erschließt sich in ihr etwas Wirkliches, etwas durch eigenes Handeln Verwirklichtes. Damit begriff idealistisches Philosophieren das Selbstbewusstsein so, wie in Spinozas Metaphysik Gott begriffen worden war, nämlich als ‚causa sui‘. Es ist dies der Name, den die abendländische Philosophie, so dann die Lesart Heideggers, Gott schon immer stillschweigend gegeben habe. Ein Name Gottes, der ihm aber vom idealistischen Denken in vollständiger und umfassend explizierter Konsequenz gegeben worden sei. Und zugleich ein Name Gottes, der, so Heideggers weiter, in letzter Konsequenz dessen liege, dass die Differenz von Sein und Seiendem verkannt, Ontologie also gebannt wird darin, (ontologisches) Sein in der Weise einer lediglich hervorbringenden Grundgebung fassen zu können. Das Selbstbewusstsein war nun zu diesem causa-sui-Absoluten geworden:

Unter den Vertretern des deutschen Idealismus, namentlich zwischen Hegel und Schelling, blieb es strittig, ob das im Selbstbewusstsein unmittelbar zugängliche, ob also das angeschaute Ich (lediglich) das uns zugängliche oder aber das tatsächliche absolute Ich ist: Führt das Selbstbewusstseins-Absolute zwingend zur Subjektivierung/Verendlichung des Absoluten, zu dessen Verkürzung? Wie kann eine solche Verendlichung verhindert, mithin in weiterer Folge dann also auch die Selbstmitteilung (‚Offenbarung‘) Gottes / des Absoluten philosophisch kohärent erfasst werden?

Ungeachtet aller Differenzen in der Beantwortung dieser Fragen kommen die Protagonisten absolut-idealistischer, also selbstbewusstseinsgenerierter Freiheitsphilosophie darin überein, Geschichte hypostatisieren zu müssen. Denn der Geschichte als solcher kommt nun (absolute?) Bedeutung für das menschliche und für das göttliche Bewusstsein zu, für das endliche Ich und für das absolute Ich. Sie ist das in sich zurückkehrende Handeln/Leben des Absoluten. Keine Geschichte mehr, die als das Kontingente und Endliche einem Absoluten gegenüberstünde, darin die Trennung des Endlichen vom Unendlichen, des Faktischen vom Notwendigen anzeigte. Sondern die Geschichte ist nur, da und insofern sie das Absolute ist. Sie war dem Wissen, nein: sie war dem absoluten Wissen zur Legitimationsinstanz geworden. Sie war zur Legitimationsinstanz eines Denkens geworden, das im Rekurs auf die Theoreme des absoluten Wissens Geschichte betrachtet und Geschichte ist, darin Philosophie betreibt und absolute Philosophie ist. So auch bei Hegel. Dieser sollte ab seiner Zeit in Jena (1801-1807) und in kohärenter Weiterentwicklung der Selbstbewusstseinsgenerierung des Absoluten – er sollte in Entwicklung absoluten Denkens – die Weltgeschichte nur mehr als jenen Prozess begreifen können, in dem das eine Selbstbewusstsein in sukzessivem Wachstum sich selbst zum absoluten Selbstbewusstsein vollendet, also zu sich selbst zurückkehrt. Eine Vollendung freilich, die, da sie Vollendung des Absoluten ist, in ihrer Vollendung zurückkehrt an ihren Anfang, also ‚das in sich Zurückgekehrte‘ ist. Die Geschichte musste bereits, in fatalistisch-positivistischer Konsequenz, letztlich (metaphysisch) und schon immer an ihr Resultat, in ihre Vollendung gelangt sein. In der von Hegel erreichten Höhe und Vollendung des philosophisch-absoluten Begriffs war das Selbstbewusstsein als absolutes Bewusstsein erkannt. Es war – wenn auch nur für uns, also noch nicht an und für sich – als absolutes, als absolut freies Selbstbewusstsein/ Ich erkannt. Es war absolut geworden. Die Geschichte muss Legitimationsinstanz absoluten Wissens und Vollzugsgestalt des Absoluten sein. Daher sprach Hegel, 1806 in Jena, von Napoleon als der zu Pferde sitzenden Weltseele. Über allem aber thronte das sich seiner selbst absolut bewusste Absolute: ‚Das Wahre ist das Ganze.‘

Wir fassen zusammen und explizieren: Die Philosophen des deutschen Idealismus, die Philosophen der klassischen deutschen Philosophie begriffen die Freiheit – im Ausgang ihrer Kant’schen Fassung, Autonomie des Willens zu sein – als absolute Freiheit. Sie begriffen die Freiheit als das Absolute, das Absolute (vormals: Gott) als Freiheit, und zwar als autonome und als sich ihrer selbst bewusste Freiheit. Im eigentlichen Sinn wirklich konnte ihnen daher nur das Absolute, hingegen konnte ihnen das Endliche und Entgegengesetzte nur (in irgendeiner Weise) Erscheinungs- und Vollzugsform dieses Absoluten sein (ohne dass es damit aber dessen Deprivationsform wäre). Das Endliche ist das, in und aus dem das Absolute zu sich selbst zurückkehrt.

Während das Absolute / das absolute Selbstbewusstsein Gottes zunächst (a) nur an sich – als Substanz – das Absolute ist und es sich nur unmittelbar bzw. im Allgemeinen seiner selbst als des Absoluten bewusst ist, bedarf es (b) der Entgegen-Setzung, der Re-flexion und damit der Verendlichung, um wirkliches Wissen, um von sich selbst ein bestimmtes ‚Wissen für sich‘ zu erlangen. Nur hier, nur im Durchgang von Verendlichung – von Negation, Entäußerung, Vergegenständlichung – seiner selbst, kann das Absolute (c) jenes Selbstbewusstsein an und für sich werden/sein, kann es absolutes Selbstbewusstsein, absolutes Ich werden/sein. Nur so, nur in kraft der Negation seiner selbst, kann es sich selbst erkennen, nämlich definitiv-konkret erkennen, kann es zu sich selbst zurückkehren. Nur so kann es erkennen, absolute Freiheit – also absolut-vollkommenes, voraussetzungsloses und allumfassendes Selbstbewusstsein von der Absolutheit seiner selbst – zu sein. Es erkennt, Subjekt bzw. Ich zu sein: Der absolute Geist kann sich erkennen, wenn er vermittels seiner Negation das (scheinbar) Endliche als solches aufhebt und mit sich, rückkehrend zu sich, vermittelt. Geschichte, Natur, Endliches – alles ist und alles ist als das Zu-sich-selbst-Finden des Absoluten. Alles ist als eine der Formen der Wirklichkeit bzw. des Daseins des Absoluten.