Anselm von Canterbury

Entgegen seiner vielerorts üblichen Standardrezeptionen praktizierte Anselm von Canterburys keine Letzt-Versenkung des Zu-Denkenden in das Zu-Glaubende. Sondern er praktizierte eine Synthese von Philosophie und Glaubensreflexion (nachmals ‚Theologie‘), in der beide dem Hoheitsrecht der Vernunft unterstellt sind. Damit bietet sich Anselm von Canterbury auch heute als historische Referenz an, Theologie im Anspruch vollständiger vernünftiger Zustimmungsfähigkeit zu praktizieren. Theologie käme damit auf einem Boden zu stehen, den sie mit säkularer (philosophischer) Rede teilt. Sie käme zu stehen auf dem Boden der Vernunft, auf dem Boden philosophischer Methodik und Evidenz. Innertheologisch könnte Anselm damit zur systematischen Ausgangs- und Kristallisationsquelle einer Theologie werden, die vom Selbstverständnis wissenschaftlicher und zugleich denkender Forschungspraxis geleitet ist.

Monotheismus. Keine postsäkulare Religion

Religiöser Glaube ist der zeitgenössischen postsäkularen Religiosität (Habermas; Assmann; Beck, Sloterdjik) nicht mehr wahrheitswertig zugänglich. Postsäkulare Vernunft stiftet einen (vernünftigen) Gottesbegriff diesseits der Unterscheidung von wahr und falsch. Der Religion und dem Glauben könne nur insofern Humanität zugesprochen werden, als dass sie in diesen Schranken, in Absehung aller Wahrheitsansprüche, agieren.

Postsäkularität fordert, Religion zur Religiosität zu führen und den Monotheismus zu jenem Polytheismus zu befreien, der entstehe, sobald ausschließlich der eigene Gott zur geistesgeschichtlich verantworteten und zur lebenspraktischen und interhuman kooperationsfähigen Deutungsmatrix geworden ist. Eine Religiosität müsse inszeniert werden, die als ‚Produkt avancierter, sich selbst in Frage stellender Modernisierung‘ agiert. Für den eigenen Gott, gegen den Gott der monotheistischen Religionen. Nur so könne Religion, könne ein Glaube an Gott integriert werden in den Friedensgestus einer gewaltfreien postsäkular-religiösen Welt. Gelinge eine derartige Transformation nicht, blieben Religionen irrationalistische Akteure von Krieg, Gewalt und Zerstörung. Sie hätten keinen Platz in einer friedlichen und friedliebenden Welt.

Hiergegen jedoch setzt monotheistische Religiosität prinzipiell in Geltung, dass humane Individualität/Personalität nur jenseits einer egoitären Zersplitterung individualistischer Selbstbezüglichkeit gelingen kann. Sie setzt in Geltung, dass ein menschlich-gelingendes Leben möglich ist nur in Vergewisserung eines Unverfügbaren, nämlich in der Bindung individueller Selbstgewahrung und Selbstgestaltung an eine Evidenz, die den Konstitutionsakten dieses Selbst (a-thematisch/prä-reflexiv) vorausgeht, von besagten Konstitutionsakten also (irgendwie) als (schon immer) zu empfangende gegenwärtigbar sein muss und gegenwärtigt werden kann. In der Sprache des alttestamentlichen Schöpfungsmythos (Gen 2, 4bff): Humanität kann einzig dann gelingen, wenn der Mensch Mensch ist diesseits des Gartens Eden, im Schutz Gottes, in der von jedem menschlichen Zweifel befreiten und unbedingten Zuwendung Gottes an den Menschen; und im Wissen/Vertrauen des Menschen, dieser (unverdienten) Zuwendung Gottes, dieser Einwohnung des Menschen im Paradies – trotz oder gerade wegen all seiner Armut und Niedertracht – würdig zu sein.