Notstand. Ausnahmezustand. Seit Tagen. Seit Wochen.

Wirklich? Erst seit Tagen, erst seit Wochen? Wirklich?

Was war vorher?

Dasselbe. Nur anders.

 

Es braucht einen Boden, einen gut vorbereiteten Boden, damit Social Distancing und Maskentragen zum Moralprinzip einer Gesellschaft avancieren und klaglos praktiziert werden können. Von allen eingefordert werden können – undifferenziert und total.

Es braucht einen gut vorbereiteten Boden, damit Social Distancing und Maskentragen zur Triebfeder gesellschaftlicher Ächtung avancieren und als Nachweis von Gut-Bürgerlichkeit und Gut-Moral praktiziert werden können – undifferenziert und total.

Es braucht einen gut vorbereiteten Boden, damit Tag-ein-Tag-aus, in den Kanälen sittsamer Selbstzufriedenheit gesungen werden kann das Lied – oder ist es bloß eine Schnulze? – von dem Daheimbleiben, von der Rücksichtnahme, von der Moral. Und der Hygiene.

 

Wie war der Boden vorbereitet, dass er gut vorbereitet war? Die Nadelstiche des Normalen waren es, die ihn gut werden ließen für das, was war und dann kommen sollte. Nadelstiche, die  baumstammdick waren. Die aber selbst von jenen Zeitgenossen, denen das Licht nur selten scheint, hätten wahrgenommen werden können, eben: als Nadelstiche hätten wahrgenommen werden können in ihre Norm-Normalität hinein:

Der Wettlauf der Algorithmen: Experte ist, wer einen Algorithmus aufstellen und berechnen kann. Womit befüllt, ist egal. Von den verschwiegenen Annahmen ganz zu schweigen. Daher die Experten der Epidemie jene zugleich der Ökonomie (und bevorzugt der Finanzwirtschaft) sind und sein können. Die das Marktverhalten von Teilnehmern vorhersagen, egal welcher Markt (von der Birne bis zum Euro), egal welche Menschen (Birnen sollst du essen oder Schweinefleisch, Autos sollst du kaufen oder Aktien, in den Urlaub sollst du fliegen oder vom Arbeitsplatz). Sie sagen vorher und betreiben: Risikoprognosen, Hochrechnungen, Modellierungen. Den Fass den Boden ausgeschlagen: Die Wiener Beiglböck-Grohs-Hermisson-Nordborg-Schachermayer – „Stellungnahme zur COVID19 Krise“ (30.3.2020). Wie dumm können Wissenschaftler sein? Und wie dumm Politiker, die sich hinter ihnen verstecken, ihnen also das Feld überlassen? Sehr dumm. Beide. „Wissenschaft denkt nicht“ (M. Heidegger). Politik offenbar auch nicht.

Der Wettlauf der Fälle: Marktteilnehmer wie Virenempfänger und -verbreiter sind in diesen Algorithmen vor allem eines: Zahlen. Also Gezähltes. Also Quantitatives, eine Aneinanderreihung von Strichen. In Absehung von Qualitäten. Undifferenziert und total. Also in Absehung davon, dass es Menschen sind. Denn die wären vor allem eines: Keine Striche, keine bloßen Elemente einer unbeliebig-beliebigen Menge. Keine bloßen 1-2-3-∞Fälle: Wir können denken und tun es auch; wir können daheim bleiben, wenn wir krank sind, und tun es auch; wir können die Hände waschen und tun es auch; wir können in den Ellenbogen nießen und tun es auch; wir können fühlen und tun es auch; wir können leben und tun es auch. Und manchmal auch mit Risiko. Dieses können wir aber reduzieren, und zwar mit Rücksicht auch auf andere. Aber die wurde uns ja abgewöhnt, die Rücksichtnahme, abtrainiert, abnormalisiert: In der Bindung aller und von allem an den Wettlauf des Wachstums, des Habens und des Benutzens. Und an den Wettlauf der Krankheiten, die erst verbreitet und dann in Gesundheiten überführt werden müssen. Undifferenziert und total: Die Bindung aller und von allem an die Neu-Moral des Maskentragens und Social-Distancings.

Der Wettlauf des Wachstums: Gesellschafts- als Marktsysteme, die nur funktionieren, wenn sie stetig (tatsächlich aber: exponentiell) wachsen, sind vor allem eins: Tödlich. Wie ein Krebsgeschwür. Insofern also kein guter Boden, den Tod zu bekämpfen. Aber ein guter Boden, den Tod zu säen. Und das im Namen des Lebens. Welch ein Leben ist das dann? Es ist das Leben, welches es war: Ein tödliches Leben – ein Leben, dessen Tod nicht vor der Zeit kommen brauchte, weil er schon da war. Weil sich das Leben im Maß der Größe, der Länge, des Vielfachen, kurz: im Maß des Quantitativen maß. Und sich nur messen, daher nicht leben konnte. Und weiterhin nicht kann. Aus Quantitativem führt kein Weg ins Qualitative. Ein nur langes, ein nur gezähltes Leben ist vor allem eins: Kein Leben.

Der Wettlauf des Habens: Habe viel, dann bist du etwas. Ein bisschen etwas. Ein kleines Etwas (denn andere haben mehr). Du bist klein. Du bist ein Etwas. Viele Etwasse haben mehr. Sind aber auch klein. Haben viel mehr: Mehr vom Großen, vom Vielen, vom Langen. Eben: Quantitatives, Zählbares, Messbares. Nichts vom Qualitativen. Gemeinschaft, bloß gestiftet im Vielen und im vielen Mehr. Das Band auch des Viel- und Massengefühls. Kein Ich, dafür Masse. Das einzige Band, das uns verbindet. Und anbindet: An das Leben, das kein Leben ist, aber tödlich. Selten für uns, oft für andere. Zurzeit noch. Es ändert sich ja gerade. Zeit wird’s.

Der Wettlauf des Benutzens: Ressourcenklau bei jenen, die heute schon sind (wenn auch woanders), und an jenen, die morgen sein werden (nämlich auch hier). Luft und Wasser, Boden und Bäume. Rohstoffe statt Wertstoffe. Land, das nicht uns gehört: Okkupiertes Land, dieses Rohstoffland. Diese Rohstoffländer. Friede bei uns, Krieg bei ihnen. Friede? Unsere Waffen bellen nicht hier, sie bellen dort. Hände, die sich nicht schmutzig machen. Nicht hier. Aber dort. Schmutzige Hände. Blutige Hände.

Der Wettlauf der Krankheiten: Zivilisationskrankheiten Diabetes, Fettsucht, Allergien, Alkohol, Bewegungsmangel. Lebensmittelindustrielle Vergiftungsmaschinerie. Hilft den Kranken nicht mehr. Immer aber denen, die daran verdienen. Und dafür werben. Die also lügen. Verdienen am Wettlauf des Wachstums, am Wettlauf des Habens, am Wettlauf des Benutzens. Am Wettlauf des Fressens und Saufens.

Der Wettlauf der Versicherungen: Wo Krankheit ist, muss Gesundheit werden. Wo die nicht sein noch kommen will, muss Krankheit ausgeschlossen werden. Denn sie birgt Risiken. Und Risiko ist das, was zu vermeiden ist. Das Ungewisse. Das Nicht-Kalkulierbare. Das, was nicht Ergebnis ist meines Willens. Selbst wenn dieser schon krank, weil vereinzelt ist. Und nur noch sich selbst, niemals aber gewollt werden will. Kein Mensch mehr da außer mir. Denn der birgt das Risiko. Das größte Risiko: Der Mensch, der mich will. Versicherungen gegen das Menschsein. Abstand, Abstand, Abstand…

Der Wettlauf der Ängste: Wer Angst hat, merkt es nicht. Deshalb läuft er ja: Um nicht zu bemerken die Angst, die er hat. Die er ist. Er läuft. Um die Wette und im Hamsterrad. Und hört denen zu, die es wissen müssen. Die wissen müssen, was er braucht. Und was er ist. Sich alles einreden lassen, im Chor mitsingen derer, die sagen, was zu tun ist. Was zu tun normal ist und moralisch. Das Lied singen – oder ist es nur eine Schnulze? – vom Daheimbleiben, von der Rücksichtnahme, von der Moral: Die Sehnsucht in der Krise. Die Sehnsucht geführt zu werden, die Last der Freiheit ablegen zu können.

Der Wettlauf des Todes: Im Leugnen des Todes dessen Macht entgrenzen und verunendlichen. Tage sammeln. Wochen, Monate und Jahre sammeln. Ist das Leben? Leben ist man, man hat es nicht. Man kann es daher auch nicht sammeln, nicht horten. So aber, als gesammeltes, gezähltes und gehabtes Leben: Im Namen des Lebens den Tod betreiben. Sich selbst und andere töten. Statt den Tod ungezählt und ungesammelt zu empfangen, vielleicht auch zu schenken. Es herrschen Notstand, Ausnahmezustand, Social Distancing. Ungeteiltes Sterben. Nicht-empfangenes Sterben. Ungelebtes Sterben.

 

Leben ist riskant. Und endet mit dem Tod. Dies sollte es am besten in der Zeit tun, nicht davor. Und mit dem Leben, nicht ohne es. Aber manchmal tut es es auch davor. Wir nennen es: „Krankheit“, auch „Risiko“. Zur falschen Zeit am falschen Ort. Oder was auch immer. Menschen werden krank. Besonders Alte. Und manche sterben daran. In Österreich zZ: Mit (nicht: An) Corona: ≈ 4% (600) der getesteten Infizierten (15.600). Also vermutlich unter 1,00% der Infizierten. Altersmedian der Sterbefälle (in Deutschland): 82 Jahre. Altersdurchschnitt der Sterbefälle in Deutschland: 76 Jahre. Stand: 30.04.2020, RKI. Oder auch: Das Leben ist tödlich. Besonders im Alter. Und im Alter mit Vorerkrankung. Oder mit Vorerkrankung.

Es stellt sich: Die Frage nach der Verhältnismäßigkeit. Ist all das Undifferenzierte und Totale, was der Staat seinen Bürgern und die Moral-und-Hygiene-Auguren ihren Gläubigen anpreisen, noch verhältnismäßig? Die Aussetzung der Grundrechte? Die Fesselung der Haushalts-und-Unterrichts-Mütter? Die Abtötung der Kultur? Der Aderlass der Wirtschaft?

Nein. Ist es nicht. Nicht mehr. Und schon lange nicht mehr.

Was muss man sein, um an Corona nicht zu sterben?

  1. Nicht vorerkrankt. Kann man was für tun. Was? Gesund leben. Wann? Vor 30 Jahren, vor 30 Monaten, vor 30 Wochen, vor 30 Tagen, gestern. Jetzt. Jetzt besser als morgen. Morgen besser als in 30 Tagen. In 30 Tagen besser als in 30 Wochen. In 30 Wochen besser als in 30 Monaten. In 30 Monaten besser als in 30 Jahren. Hilft nicht immer, aber meistens. Ist nicht immer möglich, aber oft.
  2. Nicht alt. Denn dann ist Krankheit wahrscheinlich und sind die Abwehrkräfte gering. Wie in der Natur. Weil es Natur ist. Altsein ist unausweichlich. Es soll nicht übersehen und ihm soll schon gar nicht geflohen werden. Aber auch: Krank Altsein kann tödlich sein.

Was muss man tun, um an Corona nicht zu sterben?

  1. Kranke und kranke Alte schützen, sich um sie kümmern: Menschliche Nähe und Wärme. Pflege. Bewegung hilft auch.
  2. Erkrankte Infizierte: Krankenhaus.
  3. Sterben dürfen. Den Tod empfangen dürfen. Die Ars moriendi erlernen dürfen. Ein Leben lang.

Was kann man tun, um vor, in und nach Corona gesund zu leben?

  1. Luft holen und einatmen: Luft, die frei(er) ist von Feinstaub und Aerosolen. 9 Millionen Menschen Jahr/Welt sterben vorzeitig aufgrund Luftverschmutzung.
  2. Körperbewegung und -kräftigung: Training.
  3. Gesundheit stellt sich zumeist von selbst ein, wenn man gut lebt und gut isst.
  4. Seelenkräfte hegen und pflegen (lassen).
  5. Lieben hilft. Sex auch.
  6. Den Körper mit dem Geist, den Geist mit dem Körper leben lassen.
  7. Geist haben. Also Geist sein.
  8. Das Schöne: Die Kunst – Die Musik – Das Buch – Die Religion

Was macht eine Zivilisation zur Zivilisation?

  1. Die Rechtsprinzipien, denen sich der demokratische Staat verdankt.
  2. Das Recht.
  3. Die Öffentlichkeit: Der Diskurs.
  4. Wir wissen um das Risiko, das das Leben ist. Wir leben es auch.
  5. Wir leben das Leben. Das Leben, dem der Tod zugehört und dem der Körper keine Maschine sein muss. Auch keine Lungenmaschine.
  6. Social-Distancing gehört nicht dazu.
  7. Wir pflegen Freundschaften. Und Liebe(n) auch.

 

Unsere Zivilisation war der Tod und die Barbarei schon lange vor Corona. Sie war daher der Boden für alles, was in Corona kam und nach Corona blieb. Ein gut vorbereiteter Boden. Ein tödlicher Boden.

Oder auch: Dasselbe. Nur anders.

Aber auch: Nichts muss so bleiben, wie es war. Nichts muss so bleiben, wie es ist.